Run auf Stadionkonzerte: Was es damit auf sich hat

Werden Superstars auch in Zukunft die großen Arenen füllen? Davon ist Peter Tschmuck, Musikwirtschaftsforscher an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, überzeugt. Gefahr sieht der Professor für die künstlerische Mittelschicht, die nicht mehr zu ihrem Publikum kommen könne.
"Wie viele Konzertkarten kann man sich leisten pro Jahr?"
"Wie viele Konzertkarten kann man sich leisten pro Jahr?", fragte Tschmuck im Gespräch mit der APA. "Man zahlt einen unverschämt hohen Betrag für einen Superstar, aber auf die kleineren Konzerten geht man dann nicht mehr", ortet er ein "riesen Problem". Die für den Künstleraufbau zuständigen Leute, "die kleinere bis mittlere Locations brauchen", würden gewaltig unter der Inflation und der Kostenexplosion stöhnen. "Die haben aber nicht den Spielraum, die Ticketpreise ohne weiteres anzuheben. Da gibt es eine schnellere Abwanderung, wenn die Karten teurer werden. Ich befürchte, dass diese wichtige Basis in den nächsten Jahren wegbricht."
Dass Fans nicht mehr bereit sind, für kleinere Acts Geld auszugeben, sieht Marek Lieberberg, CEO Live Nations für den deutschsprachigen Raum, dagegen nicht: "Wir veranstalten die Mehrzahl unserer Tourneen in kleinen und mittleren Locations. Die Resonanz auf diese Konzerte widerlegt diese These eindeutig. Die moderne Musik in all ihren Facetten ist der Motor der Gegenwartskultur, ob als Stadion-, Rock- oder Clubkonzert", ließ er auf APA-Anfrage wissen. Ewald Tatar, Chef von Baracuda Music, argumentiert ähnlich: "Es finden heuer noch sehr viele Hallenshows statt, im Herbst sind so gut wie keine Venues mehr frei. Es kann natürlich sein, dass die eine oder andere Veranstaltung nicht zieht, wie erwartet. Aber das war schon immer so."
Run auf Stadionkonzerte: Was macht den Reiz aus
Aber was macht den Reiz aus, Musik mit Tausenden in einem Stadion zu erleben? "Eine Rolle spielt natürlich die Dimension der Inszenierung und deren technische Umsetzung, die eine Veranstaltung zum besonderen Erlebnis gestalten", erläutert Lieberberg. Auf die Frage, ob bei weiter steigenden Ticketpreisen diese Euphorie anhält, antwortet der Deutsche: "Teuerungen gibt es in allen Lebensbereichen. Deshalb ist es unsachlich, den Livebereich herauszugreifen." Von einem Hype in Sachen Stadionkonzerte könne man übrigens laut Lieberberg nicht sprechen: "In der Folge der Pandemie hat sich natürlich eine Ballung von Tourneen ergeben. Das wird sich normalisieren."
Musikprofessor Tschmuck weist auf den Einfluss der Digitalisierung auf den Konzertmarkt hin. "Die Künstlerinnen und Künstler verdienen weniger mit dem Streaming, das trifft auch die Superstars. Sie mussten also ihr Geschäftsmodell ändern." Die Komplementarität zwischen Live- und phonografischem Geschäft, die zwei eng vernetzte Wirtschaftsbereiche waren, ist mit der Digitalisierung aufgebrochen." Das habe dazu geführt, das jetzt der Livebereich jener ist, in dem Acts ihr Geld verdienen. "Und der phonografische Teil ist eine Art Merchandising für den Konzertbetrieb", so Tschmuck.
Abschöpfungsstrategie, Effizienz oder Hype?
"Die Superstars versuchen in Hinblick auf Kostensteigerung und Klimadiskussion, ihre Tourneen so effizient wie möglich anzulegen", sagt Veranstalter Ewald Tatar. Marek Lieberberg von Live Nation sieht keinen Hype. Musikwirtschaftsforscher Peter Tschmuck spricht von "Marktabschöpfungsstrategie".
"Wenn die Superstars früher etwa in 30 Städten je ein Konzert gegeben haben, treten sie jetzt in 15 Städten zweimal auf. Damit reduzieren sich Fußabdruck und Kosten", erläutert Tatar, Geschäftsführer von Barracuda-Music, ein Tochterunternehmen von CTS Eventim, und Nova-Rock-Intendant im APA-Gespräch. "Mit geringerem Aufwand das Maximum herauszuholen", bezeichnet dagegen Peter Tschmuck, Musikwirtschaftsforscher an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, diese Vorgangsweise.
Speziell Live Nation habe erkannt, "dass noch mehr Geld zu verdienen ist, wenn geblockte Stadionkonzerte angeboten werden", so Tschmuck. "Das ist natürlich mit geringeren Kosten verbunden. Und es ist die Nachfrage da. Nach der Lockdownkatastrophe sind die Fans ausgehungert, deswegen funktioniert diese Abschöpfungsstrategie ganz gut." Für Lieberberg, CEO Live Nation GSA (Germany, Switzerland, Austria, Anm.), ist das "eine absurde Theorie, die völlig an der Realität vorbeigeht. Ohne eine überragende Nachfrage wären derartige Ansetzungen überhaupt nicht möglich." Der 77-Jährige wies außerdem darauf hin, dass nicht nur Live Nation Großkonzerte mit mehreren Terminen in einer Stadt veranstaltet.
Mehrmals in einer Stadt aufzutreten habe nichts mit Trend zu tun
Mehrmals in einer Stadt aufzutreten, habe nichts mit einem Trend zu tun, betont Lieberberg. "Es handelt sich hierbei um Ausnahmekünstler, deren reale Popularität sich in mehreren Konzerten an einem Spielort spiegelt. Coldplay ist die erfolgreichste Band der Gegenwart. Für das Wiener Konzert gab es mehr als 600.000 Ticketanfragen, von denen noch nicht einmal 50 Prozent erfüllt werden konnten." Unerfüllt blieb auch der Wunsch nach einem Zusatztermin von Harry Styles, der heuer "nur" einmal im ausverkauften Praterstadion gastierte. "Für Styles war es der erste Open-Air-Zyklus", so Lieberberg, "und der Künstler wollte in möglichst vielen Ländern auftreten. Der Interpret und sein Management entscheiden letztlich über Veranstaltungsorte und Anzahl der Konzerte."
Ein Dauerthema sind die Ticketpreise. "Man muss genau schauen, wo man die Karte erwirbt", rät Tschmuck. "Direkt an der Quelle ist sie halbwegs günstig, aber es gibt mittlerweile einen starken Sekundärmarkt." Früher habe man das Schwarzmarkt genannt, jetzt sei es ein legalisierter Sekundärmarkt, "wo Onlineplattformen Kontingente aufkaufen oder sogar übertragen bekommen", hält der Uniprofessor fest. "Die können dann die Zahlungsbereitschaft der Leute entsprechend ausnutzen." Stress beim Ticketkauf über offizielle Stellen ergebe sich durch diese "künstliche Verknappung" der Kontingente. Live Nation vertreibe all seine Tickets "ausschließlich zum Originalpreis über die offiziellen Ticketanbieter", kontert Lieberberg: "Es werden grundsätzlich keine Eintrittskarten für den Sekundärmarkt bereitgestellt."
Kritik an Höhe der Kartenpreise
Zu Kritik an der Höhe der Kartenpreise sagt Lieberberg: "Wenn man vergleicht, was andere Spitzenereignisse in Sport oder Kultur kosten, ist die Hervorhebung der Ticketpreise für Topkonzerte reine Heuchelei. Außerdem sind die Kosten für die komplexen Konzertanforderungen nach Corona um mehr als 50 Prozent gestiegen, ganz abgesehen von der allgemeinen Inflation." Tschmuck sieht hier auch gar nicht die Veranstalter als grundsätzlich in der Verantwortung: "Letztendlich sind es die Künstlerinnen und Künstler, die auch eine Rolle spielen und einen Einfluss haben. Die könnten durchaus hinterfragen, ob die Tickets so teuer sein müssen. Sie könnten etwa weniger Garantiesummen einfordern."
Tatar, der Swift nach Wien holt, unterstreicht Wiens Rolle als "das Tor zum Osten". "Wir sind die süd-östlichste Station ihrer Tournee." Daher rechnet man von einem entsprechenden Publikumsandrang aus diesem Raum. "Wien ist ein beliebter und attraktiver Spielort. Die österreichische Hauptstadt verbindet Geschichte und Moderne, was viele Künstler fasziniert. Und hat darüber hinaus ein enthusiastisches Publikum", streut Lieberberg Rosen. Tschmuck wiederum wies auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hin: "Früher sind die Stars in Moskau aufgetreten, dieser Markt ist jetzt weggefallen. Man sucht sich einen sicheren Ersatz, Wien scheint davon zu profitieren."
(APA/Red)