Ruhige Lage im Kosovo und bei österreichischen KFOR-Soldaten
Nur ab und zu gehen, vom bewachten Hauptportal kommend, auf der Longstreet Soldaten am Gefechtsstand vorbei weiter zu der im Container-Lager eingerichteten Post, dem gegenüberliegenden PX-Einkaufsmarkt in die Tiefe des Camps, wo sich die übrigen Einrichtungen befinden: Unterkünfte, Sportanlagen mit einem kühlenden “Löschteich” als Pool, Werkstätten, eine Funkmeldestelle und teils leere Lagerhallen, die für in Europa bereitgehaltene Reservekräfte da sind.
In der Ferne weht das weiße Kreuz auf rotem Grund: Eine Kompanie aus der Schweiz verstärkt die fast 400 Soldaten des österreichischen Bundesheeres beim Einsatzbataillon Dulje bei der NATO-geführten KFOR-Truppe. Das “Dulje” gehört zur Einsatzbrigade Süd rund um die historische Stadt Prizren im Kosovo, wo sich 1878 erstmals die nationalen Interessen der Albaner bündelten und ihre Eliten – vergeblich – eine Autonomie vom Osmanischen Reich forderten.
Die Reservekräfte werden aus jetziger Sicht nicht gebraucht, das Lager-Innere spiegelt die Situation draußen wider: “Es ist im Moment ruhig”, sagt Brigadier Robert Prader, der seit Ende Mai für ein halbes Jahr nicht nur das Einsatzbataillon Dulje, sondern die gesamte KFOR-Brigade Süd befehligt. Patrouillen seien zurückgeschraubt worden; der Einsatz entwickle sich weg von Kontrolle der Bevölkerung hin zum verstärkten Gespräch mit ihr. Laut Einsatzauftrag soll die rund 3.700-köpfige Süd-Brigade ein “sicheres Umfeld” aufrechterhalten, die kosovarische und die UNO-Polizei unterstützen und “Brennpunkte” wie Siedlungen von Minderheiten und serbisch-orthodoxe Kirchengüter bewachen.
Der 17. Februar war ein Wendepunkt. An jenem Tag vor einem halben Jahr rief der Kosovo einseitig seine Unabhängigkeit von Serbien aus. Die KFOR war für befürchtete Gewaltausbrüche gerüstet. Schwerster Zwischenfall blieben dann Ausschreitungen in der zwischen Albanern und Serben geteilten Stadt Mitrovica im Nordkosovo, bei denen ein UNO-Polizist getötet wurde. Prader sagt, er habe sich gröbere Unruhen erwartet – nun seien aber mehr und mehr polizeiliche Fähigkeiten von der Truppe zur Umsetzung des Einsatzauftrages gefragt.
Eine akute Bedrohung spüren auch die Soldaten beim Einsatzbataillon Dulje nicht. Die Leute seien offener gegenüber den Soldaten geworden, freundlich. Der Villacher Oberstabswachtmeister Elmar Bearzi (38) vom Entminungsdienst erzählt, die Kosovaren hätten heute keine Angst mehr, Blindgänger aus dem Krieg zu melden, wenn sie welche fänden. Korporal Joachim Weiss (29), Steirer aus Deutschlandsberg, vermeldet, die Patrouillen mit dem Pandur-Panzer, die er vor allem zur Sicherung der eigenen Truppe um das Camp fährt, seien weniger geworden.
Aufgaben bleiben aber genug. Vor wenigen Tagen entgleiste ein Güterzug in der südlichen KFOR-Zone. Die Unfallstelle soll nun mit Hilfe der Bundesheer-Soldaten geräumt werden. Die zivil-militärische Zusammenarbeit geht aber über solche Katastrophenhilfe hinaus. So werden etwa auch Schulen rund um das Camp Casablanca mit österreichischer Unterstützung instand gesetzt. Im von der deutschen Bundeswehr dominierten nahegelegenen Fliegerbataillon Toplicane versehen auch 20 Österreicher Dienst und führen mit zwei Alouette-Hubschraubern und zwei Black Hawks Aufklärungs- und Transport- und Rettungsflüge durch. Über zu wenig Arbeit beklagen, kann sich Pilot Thomas Singer, ein gebürtiger Tiroler, nicht, wie er selber sagt.
Während die Flieger alle vier Wochen rotierend im Einsatz sind, werden die Soldaten im Camp Casablanca alle sechs Monate ausgewechselt. Dienst ist alle sieben Tage der Woche. Zweimal gibt es innerhalb dieser Frist zehn Tage Urlaub.
Das Geld spielt für viele der österreichischen Auslandsfreiwilligen eine Rolle, warum sie in den Kosovo gekommen sind. 3.000 Euro netto zusätzlich zu den sonstigen Bezügen sind ein Anreiz, wie sie einräumen. “Geld ist ein Faktor”, sagt Bearzi. Zugsführer Christian Thumfort (30) aus Wildon, der im zivilen Leben bei Magna Steyr Autos zusammenbaut, hat für sich, seine Frau und seine beiden Kinder eine Doppelhaushälfte erworben. Korporal Weiss geht es demgegenüber auch um seine Karriere beim Heer. Der Milizionär, der zwischenzeitlich für einen privaten Sicherheitsdienst arbeitete, brauchte etwas, was ihn “mehr fordert”. Er gehörte schon dem österreichischen Vorgängerkontingent bei der KFOR an und verlängerte, um danach ins Jagdkommando zu kommen.
Die Kommunikation mit zu Hause funktioniert gut, denn ein lokales A1-Netz wurde zwischen den weißen Containern im Casa Blanca aufgezogen. Leicht sei es für die Familie trotzdem nicht, erklärt Vizeleutnant Michael Ofner (33) aus Geinberg in Oberösterreich, dem Bundesland, aus dem die meisten Soldaten in dem Lager stammen, der bei der Kaderpräsenzeinheit für Planungen aller Art von Scharfschießenausbildung bis zu den Patrouillen zuständig ist. “Aber auch das ist eine Planungssache.”
Mit ein Grund, warum die Lage so ruhig ist, ist die Tatsache, dass kaum mehr Serben in der Süd-Zone Leben. Als Hot Spots sind die geteilte Stadt Orahovac mit 22.000 Albanern und 600 Serben, das rein serbische, 700 Einwohner zählende Velika Hoca sowie ein zerstörtes und wieder aufgebautes serbisch-orthodoxes Kloster in Zociste mit vier Geistlichen geblieben. Zurückkehren will mangels Zukunftsperspektive keiner der Serben, die vertrieben wurden oder flüchten konnten.
Der jüngste große Gewaltausbruch im Kosovo liegt viereinhalb Jahre zurück. Im März 2004, fünf Jahre nach dem Krieg, zerstörten Albaner trotz KFOR-Präsenz serbische Kirchen und Klöster – etwa in Prizren – und töteten 19 Menschen. Brigadier Prader mahnt: Die Aufmerksamkeit sei nach wie vor hochzuhalten. Ein Ende des KFOR-Mission und des österreichischen Einsatzes im Kosovo sei nicht abzusehen. Was die derzeitige Ruhe anbelangt, klopfen die österreichischen KFOR-Soldaten im klimatisierten Ö-Hof, dem alpenländisch eingerichteten Camp-Lokal mit kosovo-albanischer Bedienung, daher auf Holz: “Hoffentlich bleibt es so.”