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Rot-Schwarze Manipulationen auf Wikipedia

Weitere Spielwiese für die Parteien: Das Internet-Lexikon Wikipedia. Offenbar werden Parteieinträge seit Jahren geschönt und die Konkurrenz entsprechend schlecht gemacht.

Nach Leserbriefen und Internet-Postings haben die Parteien eine weitere Spielwiese entdeckt: Funktionäre von SPÖ und ÖVP sind offenbar bereits seit Jahren im Internet-Lexikon „Wikipedia“ unterwegs, um dort jene Einträge, die die eigene Partei betreffen, zu schönen und die Konkurrenz entsprechend schlecht aussehen zu lassen. So wurden von Servern der SPÖ aus kritische Passagen aus dem Porträt von Parteichef Alfred Gusenbauer gestrichen, die ÖVP textete eifrig an der eigenen Parteigeschichte mit und ließ im Präsidentschaftswahlkampf 2004 kritische Links aus dem Wikipedia-Eintrag ihrer Kandidatin Benita Ferrero-Waldner verschwinden.

Möglich sind derartige Manipulationen, weil Wikipedia auf einem auf den ersten Blick bestechenden Grundprinzip basiert: Jeder kann mitmachen. Wer in einem Artikel Fehler entdeckt, wer es besser oder einfach mehr weiß, der kann Korrekturen anbringen oder Artikel ergänzen. Genau das macht das System aber auch fehleranfällig. Wie sich nun herausstellt, sind nämlich bei weitem nicht alle Autoren der Wahrheit verpflichtet: Von der israelischen Regierung bis hin zum Software-Konzern Microsoft haben Behörden, Unternehmen und Politiker zu ihren eigenen Gunsten in die Online-Enzyklopädie eingegriffen – eben auch die österreichischen Großparteien.

Enthüllt wurden die Manipulationen mit Hilfe eines vom amerikanischen Informatikstudenten Virgil Griffith entwickelten Recherche-Werkzeugs, dem „Wikipedia-Scanner“ (wikiscanner.virgil.gr/de). Technisch ist das nicht besonders schwierig, denn alle Änderungen an den Wikipedia-Artikeln werden automatisch protokolliert – inklusive IP-Adresse (eine Art Internet-Telefonnummer) der Autoren. Der Wikipedia-Scanner sammelt nun beispielsweise einer Partei oder einer Firma zuzurechnende IP-Adressen und sucht die Wikipedia-Beiträge heraus, die von diesen Adressen aus bearbeitet wurden.

Ergebnis: Ausgehend von einer der SPÖ zuzurechnenden Adresse (193.80.191.131) wurde bereits 2005 versucht, kritische Passagen aus dem Wikipedia-Porträt von Kanzler Alfred Gusenbauer zu streichen („Auch in den auf die Nationalratswahl 2002 folgenden Jahren konnte Gusenbauer nur bedingt positiv auffallen“). Als das misslang, wurde folgende Ergänzung über den damaligen Oppositionsführer hinzugefügt: „Seit der Nationalratswahl 2002 befindet sich die SPÖ im permanenten Aufwind, hat alle Wahlen gewonnen und liegt konstant in allen Umfragen vor der ÖVP.“

Von der selben IP-Adresse aus bearbeitet wurden auch die Porträts roter Politiker – etwa von Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter oder Bildungssprecher Josef Broukal – und bereits verstorbener Parteigranden – von Otto Bauer bis Bruno Kreisky. Und noch im März 2007 fühlte man sich bemüßigt, via Wikipedia klarzustellen, dass die Abschaffung der Studiengebühren nur „Aufgrund des Widerstandes der zweiten Regierungspartei, der ÖVP“ gescheitert war.

Doch auch die ÖVP nutzt das Internet-Lexikon bereits seit längerem für ihre Zwecke, wie Recherchen der APA im Wikipedia-Scanner ergaben. Am Beispiel des Präsidentschaftswahlkampfes 2004: Als damals im Wikipedia-Porträt der VP-Kandidatin Benita Ferrero-Waldner Links zu kritischen und satirischen Homepages auftauchten, wurden diese kurzerhand gelöscht – und zwar von einer auf die VP-Tochterfirma Alpha Medien Service registrierten Adresse aus. Die selbe Adresse fügte dann dem Wikipedia-Eintrag des SP-Kandidaten Heinz Fischer einen Hinweis auf eine Homepage hinzu, die den Ferrero-Waldner-Konkurrenten als „Roten Heinzi“ persiflierte.

Besonders häufig bearbeitet wurde von dieser Adresse (193.187.11.194) aus auch der Wikipedia-Eintrag über die ÖVP selbst – zuletzt im November 2006. Themen: „Die Ära Schüssel Koalition mit der FP“, „Die Renaissance der VP unter Alois Mock“ und „Literaturtipps“ von Autoren wie Andreas Khol, Reinhold Lopatka und Wolfgang Schüssel.

Aber auch über die politische Konkurrenz hat die ÖVP im Internet-Lexikon einiges zu sagen. Etwa über die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou: „Ihr als ’zu links’ kritisierter Kurs führte zu Parteiaustritten – etwa von Gemeinderat Günther Kenesei, der zur ÖVP wechselte“, heißt es etwa in einer am 6. Juli 2006 eingefügten Passage. Oder über den steirischen Landeshauptmann Franz Voves: „Er hat alle wesentlichen Positionen in der Landesverwaltung und landesnahen Betrieben mit SPÖ-Mitgliedern besetzt.“ Hier funktionierte allerdings die Selbstreinigungskraft der Wikipedia-Community: Beide Passagen wurden mittlerweile von anderen Usern gelöscht.

SPÖ und ÖVP bestreiten konzertierte Aktion

SPÖ und ÖVP bestreiten, dass die Eingriffe in das Internet-Lexikon Wikipedia im Auftrag der jeweiligen Parteizentralen erfolgt sein könnten. „Auf keinen Fall ist das von der Bundesgeschäftsstelle aus gesteuert“, versicherte SP-Sprecherin Catherina Straub gegenüber der APA. Ähnlich ihr VP-Kollege Gerald Fleischmann: „Es gibt keine Anweisung, den politischen Mitbewerber mit solchen Mitteln schlecht zu machen – weder früher noch heute.“ Ein Wikipedia-Sprecher rät den Parteien, ihre eigenen Einträge überhaupt nicht zu bearbeiten.

Dass Partei-Mitarbeiter Wikipedia-Beiträge manipuliert haben könnten, wollen freilich weder SPÖ noch ÖVP ausschließen. „Unser Haus nützt das Internet im Alltag, daher kann man nicht ausschließen, dass in unserem Haus so etwas geschehen ist“, sagt Fleischmann. Und: „Wie wir in Zukunft damit umgehen, werden wir jetzt prüfen.“

Seitens der SPÖ bestätigt Straub zwar, dass die fragliche IP-Adresse der SP-Zentrale zuzurechnen ist. An den entsprechenden Servern würden jedoch nicht nur die Mitarbeiter der Parteizentrale hängen, sondern auch Funktionäre in den Ländern und in den Nebenorganisationen. Es sei natürlich nicht auszuschließen, dass einzelne Mitarbeiter Teil der Wikipedia Community seien und dort Einträge bearbeiten. Aber um eine konzertierte Aktion handle es sich dabei nicht, betonte die SP-Sprecherin: „Von uns aus passiert das nicht. Wir sind ja nicht die Oberzensoren im Web.“

Wikipedia-Sprecher Matthias Schindler rät politischen Parteien grundsätzlich davon ab, ihre eigenen Wikipedia-Artikel zu bearbeiten. „Auch ohne bösen Willen zu unterstellen ist es für viele Menschen schwer, sachlich über sich selbst zu berichten“, so Schindler gegenüber der APA. „Was wir Parteien und allen beteiligten Personen seit Jahren sagen: Sie sind nicht anonym im Netz. Ihre Änderungen fallen auf sie zurück, und das ist im Zweifelsfall ein viel größerer Glaubwürdigkeitsschaden für eine Person oder eine Partei“, warnt Schindler.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem für Wikipedia selbst sieht Schindler nicht und verweist darauf, dass offensichtlich manipulierte Einträge häufig schnell wieder von anderen Usern gelöscht würden. Die „Verweildauer des Unfugs“ im Online-Lexikon sei daher erfahrungsgemäß relativ gering. Außerdem sei ein „blindes Vertrauen“ in Wikipedia ohnehin nicht sinnvoll. Jede Art von Enzyklopädie könne nämlich nur „ein erster Startpunkt einer Recherche“ sein. „Um Wikipedia nützlich zu finden, muss ich Wikipedia nicht vertrauen“, betont Schindler.

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