Anfangs muten die Geschichten noch ein wenig bieder und wienerisch regional an. Auch wenn die Ich-Erzählerin, von Beruf Deutschtrainerin wie die Autorin selbst, zu einer Konferenz nach Mexiko reist und dabei ihre Flugangst beschreibt. Das liest sich noch ein wenig wie die Aufzeichnungen eines Urlaubstagebuchs.
Rosemarie Poiarkov erzählt von Wachszylindern und der großen Liebe
Doch bald nimmt der Roman Fahrt auf, macht Abstecher in Traumwelten und hält abwechselnd bei den einzelnen Figuren des Romans an: Beim schüchternen Milan, der auf einer Hochzeit in Serbien eine schöne Frau kennenlernt und wieder daheim sich nach ihr verzehrt. Beim Zigaretten rauchenden alten Josef, der durch den zweiten WienerGemeindebezirk spaziert und dort in Assoziativketten auf seine Vergangenheit zurückblickt. Beim Tonarchivar Emil, dessen Leidenschaft dem Aufnehmen von Geräuschen gehört, wobei ihm einmal fast das Ohr auf dem Eis der Alten Donau anfriert.
Zumeist aber geht es um Emils Freundin, die Ich-Erzählerin Luise in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen. Wie unter eine Lupe holt Poiarkov Stimmungen hervor und beschreibt eingehend unscheinbare Gegenstände. Eine große Rolle spielt dabei ein Wachszylinder aus dem Jahr 1903, den Luise in Mexiko erwirbt. Alltägliches, Unbeachtetes findet die Beachtung der Autorin. Dabei scheut Rosemarie Poiarkov auch nicht detaillierte Szenen aus dem Intim- und Sexualbereich – wenn es die Ehrlichkeit des Handlungsablaufs erfordert.
Der Alltag der Wiener
Viel dreht sich um das Hören, das Aufnehmen von Geräuschen und Signalen sowie deren Deutung. Es geht um Kommunikation zwischen den Akteuren und ihre Erreichbarkeit – im Gespräch oder über technische Hilfsmittel. Und letztlich auch um das verständlich Machen der eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte. Deshalb sind der Beruf der Hauptperson Luise, Deutschlehrerin für Ausländer, und die Botschaft auf dem Wachszylinder, die sich bis zum Schluss kaum entziffern lässt, Symbole für dieses Vermitteln und Mitteilen, um das dieser Roman kreist.
Es sind nicht die großen Erlebnisse oder Katastrophen, von denen Rosemarie Poiarkov in ihrem Buch erzählt, sondern das, was den Menschen täglich zustößt. Sie tut dies mit großem Respekt und viel sanfter Zuneigung zu ihren Figuren. Daraus ist ein liebenswürdiger Roman geworden, der aufgrund der Abwesenheit einer spektakulären Handlung nicht weniger Spannung aufweist, sondern die Leser neugierig darauf hält, wie es im so gewöhnlichen, so gar nicht unvertrauten Leben der handelnden Personen weitergeht.
Rosemarie Poiarkov: “Aussichten sind überschätzt”
Residenz Verlag, 274 Seiten
22 Euro
Buchpräsentation am 30. März im Wiener Literaturhaus
(apa/Red)