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Roma in Ungarn: "Stimmung wird immer schlechter"

Blick in eine ungewisse Zukunft.
Blick in eine ungewisse Zukunft. ©EPA
Ausgrenzung und Benachteiligung gab es zwar schon immer, jetzt kommen aber auch Hass und Aggression dazu. Nicht umsonst befürchten NGOs eine Eskalation.
Situation in der Slowakei
Hintergrund: Roma in Osteuropa

Die Töltes Utca, ein einfacher Straßenzug am Stadtrand von Esztergom, ist ein Paradebeispiel für die Hilflosigkeit Ungarns im Umgang mit ihrer Roma-Minderheit. Rund 200 Menschen dämmern dort in kleinen verdreckten Baracken perspektivlos vor sich hin. Arbeit gab es nie in Hülle und Fülle, schon gar nicht für “Zigeuner” – die Wirtschaftskrise hat jetzt auch die letzten Chancen auf Entlohnung weggefegt. Die Verwaltung will das Ghetto nun auflösen und die Roma umsiedeln – raus aus der Stadt. Doch die nächsten Probleme sind vorprogrammiert. Und in der “weißen” Bevölkerung brodelt es gewaltig.

Etwas ratlos sitzen Tamas Gemesi und seine Kollegen rund um den Besprechungstisch im Sozialzentrum in der Töltes Utca. Seit Jahren leben sie mit den Roma in der Straße, kümmern sich vor allem um Kinderbetreuung, aber auch um die Erwachsenen. Kaum jemand in Ungarn hat mehr Einblick in das Leben einer Minderheit, die längst keine mehr ist. Offiziell gibt es 600.000, in Wahrheit sind es schon eine Million Roma. Doch all die Erfahrung im Umgang mit “ihnen” nützt scheinbar nicht viel: “Wir kommen gerade von einer Konferenz, aber Lösung haben wir keine gefunden”, sagt Tamas und zieht entschuldigend eine Schulter hoch.

“Der Staat tut überhaupt nichts”

Die Situation scheint verfahrener als je zuvor: “Die Roma bekommen aufgrund der Wirtschaftskrise überhaupt keine Arbeit mehr, selbst viele Weiße finden keinen Job, vor den Arbeitsämtern stehen täglich Menschenschlangen, der Hass wächst, die Stimmung wird immer schlechter. Und der Staat tut überhaupt nichts, es gibt kein Programm”, klagt der Sozialbetreuer.

Dafür zahlt die EU. Doch die Verteilung der Mittel sei in Ungarn “sehr problematisch”, meint Tamas. Rund 3.000 Ortschaften gebe es, in denen Roma leben. “Aber nur wenige können um Förderungen ansuchen, weil die Bedingungen überaus streng sind.” Die Töltes Utca zum Beispiel bekommt keinen Cent, weil es in der gesamten Region vergleichsweise nur wenige Roma gibt und das Ghetto in dieser Gesamtrechnung untergeht.

Wer nicht zahlen kann, fliegt

Der Abwärtsstrudel, in dem sich die Roma befinden, beginnt sich bereits bei der Bewältigung einfachster Alltagshürden unbarmherzig zu drehen: 20.000 Forint (74 Euro) kostet das Vergnügen, in einer der desolaten Behausungen wohnen zu dürfen. Auf wenigen Quadratmetern stapeln sich Gerümpel und Müll, dazwischen leben manchmal zehn oder noch mehr Menschen. 28.000 Forint (103 Euro) beträgt die Sozialhilfe, weshalb die Töltes Utca für viele mittlerweile zu teuer geworden ist. Und wer nicht zahlen kann, der fliegt – aus der Wohnung und auch gleich aus der Stadt.

In Kertvaros, einem Vorort von Esztergom, entsteht gerade ein neues Ghetto. Dorthin sollen die Roma aus der Töltes Utca Schritt für Schritt umgesiedelt werden. Die Häuser sind größtenteils ohne Strom, haben keinen Wasseranschluss, die Fensterscheiben sind zerbrochen, dafür gibt es die die Abfallberge vor der Tür inklusive. Rund um diese Siedlungen breiten sich Mülldeponien aus, die verdächtig nach Freiluft-Toilette riechen. Für die Nachbarschaft ist das natürlich eine Zumutung. Die Abneigung wächst und wächst. Den “weißen” Ungarn ist es schon lange egal, wann, wie und warum die Roma in diese hoffnungslose Lage geraten sind. Fakt ist für sie: Überall, wo ein “Cigan” auftaucht, gibt es Ärger.

Blinde Gewalt

Es sind Orte wie dieser, die im vergangenen Jahr für internationales Aufsehen gesorgt haben. Acht Roma wurden in solchen Dörfern erschossen, egal ob alter Mann oder junge Frau samt Kind. Die Tragik dabei ist, dass erst Menschenleben ausgelöscht werden mussten, um das Medieninteresse über die Grenzen des Landes (vor allem Richtung Westen) schwappen zu lassen.

Diese Eskalation blinder Gewalt, die von rechtsextremen Gruppierungen geschürt wird, die sich immer größeren Zulaufs erfreuen und deren Akzeptanz in der Bevölkerung stetig wächst, richtet sich längst nicht mehr nur gegen Roma. Da diese aber zahlenmäßig sämtlichen anderen Minderheiten weit überlegen sind, konzentrieren sich auch dementsprechend viele Aktionen auf sie. Eine Entwicklung, die Tamas und seinen Kollegen große Sorgen bereitet: “Die Polizei hat Pläne für weitere Morde gefunden.” Die Stellen, wo Roma hingerichtet werden sollten, waren sogar schon mit Kreuzen markiert.

Ein Stück heile Roma-Welt

Das Sozialzentrum in der Töltes Utca ist ein Stück heile Roma-Welt. Kinder aller Altersgruppen finden hier nicht nur Zerstreuung, sondern werden auch gefördert. Von Bastelkursen bis zur Computeranwendung reicht das Angebot. Resultat: Größere Motivation, bessere Schulnoten. Doch mehr ist in einem Gesellschaftsmodell, das der Apartheid schon gefährlich ähnlich sieht, nicht möglich. Denn so gut die jungen Roma auch schreiben, lesen und rechnen können mögen – Jobs bekommen sie deswegen noch lange nicht.

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