Regierung will Reform des Beschäftigungssystems für behinderte Menschen

Ziel ist es, die derzeitige Praxis, in der Menschen mit Behinderungen für ihre Arbeit in sogenannten "Werkstätten" nur ein geringes Taschengeld erhalten, zu ändern. Anstelle dessen sollen sie in reguläre Beschäftigungsverhältnisse mit sozialversicherungspflichtiger Bezahlung übergehen. Dieser Prozess wird schrittweise erfolgen, erklärten Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) am Dienstag.
Wien: 28.000 Menschen mit Behinderungen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen
In Wien arbeiten derzeit etwa 28.000 Menschen mit Behinderungen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen der Bundesländer. Diese "Werkstätten" bieten ein breites Spektrum an Angeboten, von grundlegender Förderung bis hin zu arbeitsmarktnahen Tätigkeiten. Die Teilnehmer erhalten dafür ein Taschengeld, das je nach Bundesland zwischen 35 und 100 Euro monatlich beträgt, und genießen Unfallversicherungsschutz.
Das Konzept "Lohn statt Taschengeld" ist Teil des Regierungsprogramms. 2021 beauftragte das Sozialministerium eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien, um die Auswirkungen einer solchen Umstellung zu analysieren. In dieser Studie wurde ein Alternativsystem vorgeschlagen, in dem die Beschäftigten ein Bruttogehalt von 1.180 Euro (14-mal jährlich) anstelle des Taschengelds erhalten würden. Dies würde zwar einige Sozialleistungen reduzieren, aber gleichzeitig würden die Beschäftigten Versicherungszeiten für die Alterspension ansammeln.
Konzept "Lohn statt Taschengeld" ist Teil des Regierungsprogramms
Über einen Zeitraum von 55 Jahren prognostiziert, ergab die Studie, dass die meisten Beteiligten finanziell neutral oder besser gestellt würden. Lediglich die Bundesländer würden finanzielle Einbußen erleiden. Pro Jahr würde die Sozialversicherung einen Positivsaldo von rund 5.800 Euro pro behinderte Person erzielen. Bund und Trägereinrichtungen würden etwa ausgeglichen abschließen, während die Bundesländer mit einem jährlichen Negativsaldo von rund 11.100 Euro pro Person rechnen müssten. Auch die betroffenen Personen selbst würden finanziell profitieren, mit einem jährlichen Plus von etwa 5.200 Euro.
Studienautor Christian Grünhaus erläuterte, dass sich durch die Umstellung die Geldflüsse ändern würden: Aus dem Taschengeld würden Personalkosten, und es müssten Sozialversicherungsabgaben sowie Lohnsteuer gezahlt werden. Die Bundesländer, die voraussichtlich für die Bezahlung aufkommen würden, könnten im Rahmen des Finanzausgleichs Ausgleichsforderungen stellen.
Rauch bekräftigte Notwendigkeit der Änderung
Minister Rauch bekräftigte die Notwendigkeit der Änderung, sowohl aus integrationspolitischer als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Es sei ein Ziel im Rahmen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Chancengleichheit zu gewährleisten. Im kommenden Jahr sollen Gespräche mit den Ländern geführt werden, um über Pilotprojekte in das neue System zu starten.
Auch Arbeitsminister Kocher sprach sich für eine schrittweise Umsetzung aus, um den Übergang von tagesstrukturellen Einrichtungen zu sozialökonomischen Betrieben zu erleichtern. Dieser Prozess werde Zeit in Anspruch nehmen, aber wichtige Grundlagen würden geschaffen.
Klaus Widl, Präsident des Behindertenrats, fordert nun rasche weitere Schritte. Er kritisiert, dass das aktuelle Taschengeldsystem Menschen mit Behinderungen lebenslang in eine kindähnliche Rolle dränge, da es keinen Anspruch auf Pensions- und Krankenversicherung bietet.
(APA/Red)