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Regierung laut Experte "nicht wirklich" handlungsfähig

In den Augen eines Fachmanns ist die Regierung "nicht wirklich" handlungsfähig.
In den Augen eines Fachmanns ist die Regierung "nicht wirklich" handlungsfähig. ©APA/HERBERT NEUBAUER (Symbolbild)
Die Handlungsfähigkeit der Regierung wird nach den Hausdurchsuchungen bei der ÖVP einem Test unterzogen. Fachleute wie der Meinungsforscher Peter Hajek und der Politikberater Thomas Hofer beurteilen das gegenüber der APA differenziert.

Hofer sagte, die Regierung sei "nicht wirklich" handlungsfähig, und das sei daran zu sehen, "dass die Grünen das selbst infrage stellen".

"Die Regierung ist handlungsfähig"

Anders Hajek: "Die Regierung ist handlungsfähig und wird das auch bleiben, bis die Grünen für sich entscheiden, dass der Partner nicht mehr handlungsfähig ist." Die ÖVP sage, sie sei handlungsfähig, und es werde eben ermittelt. Damit kommt dem Meinungsforscher zufolge dem kleinen Koalitionspartner eine entscheidende Rolle zu, Hajek verwies darüber hinaus auch auf die wichtige Rolle des Bundespräsidenten. Dass Alexander van der Bellen die Regierung aber von sich aus auflöst, hielt der Experte für praktisch ausgeschlossen.

Die Grünen müssten sich zwei Gedankengängen stellen, so Hajek. "Der erste betrifft die Staatsräson: Der Staat braucht eine stabile Regierung." Der zweite: "Was wäre, wenn Neuwahlen kommen." Der Meinungsforscher sagte: "Die ÖVP wird den Kurt-Waldheim-Gedächtniswahlkampf ausrufen, also nach dem Motto 'Jetzt erst recht' vorgehen." Die erst kürzlich in Oberösterreich bei den Landtagswahlen erfolgreiche impfkritische MFG ("Menschen-Freiheit-Grundrechte") habe gute Chancen, auch in den Nationalrat einzuziehen. "Dann haben wir ein Sechs-Parteien-Parlament", sagte Hajek.

Experte über Koalitionsverhandlungen

Die Koalitionsverhandlungen wären dann wohl sehr kompliziert, argumentierte der Meinungsforscher: Die Grünen und die ÖVP wären dann wohl übers Kreuz, Sebastian Kurz (ÖVP) und Herbert Kickl (FPÖ) könnten nicht miteinander, und die SPÖ mit der FPÖ wäre auch nicht möglich.

Hofer sagte zur Frage der Handlungsfähigkeit: "Tatsache ist, dass die Regierungsspitze mit dem Thema permanent konfrontiert und davon okkupiert wäre." Der kleine Koalitionspartner spreche das ja bereits an. Für den Politikberater stellte sich schon auch die Frage, wie die ÖVP nun agieren. Denn die Grünen hätten nun mit ihrem Infragestellen der Handlungsfähigkeit und der Einladung an die Klubobleute zu Gesprächen einen Schritt der Eskalation gesetzt. "Die Grünen haben den Ball deutlich weitergetrieben", sagte Hofer. Der Experte glaubte auch, dass innerhalb der ÖVP Diskussionen über ihren Bundesobmann Sebastian Kurz geführt würden.

Hofer verweist auf Unschuldsvermutung

Die Frage, wer von Neuwahlen in der gegenwärtigen Situation profitieren würde, ist laut Hofer nur sehr spekulativ zu beantworten. "Der Grad der Volatilität in der Wählerschaft ist sicher gestiegen", erläuterte der Politikberater. Er meinte, dass eine Präsentation von Kurz in der Märtyrerrolle "nur mehr sehr eingeschränkt möglich" wäre. "Neuwahlen würden aber alle am falschen Fuß erwischen. Die Opposition ist nicht ideal aufgestellt."

Einig zeigten sich Hajek und Hofer bei der Frage nach der Bewertung und der Vergleichbarkeit der Hausdurchsuchungen mit dem Ibizaskandal. "Wir müssen alle sehr aufpassen, und es ist zu betonen, dass die Unschuldsvermutung für alle Beteiligten gilt", sagte Hofer. "Aber was in den 104 Seiten der Anordnung zur Hausdurchsuchung steht, ist schon sehr starker Tobak, wenn es stimmen würde." Es sei aber insofern mit der "Ibiza-Affäre" nicht ganz vergleichbar: "Kurz hat nicht Medienhäuser gekauft. Aber wenn es stimmt, dass er sich mutmaßlich Berichterstattung gekauft hat, dann ist das ein dramatischer Dämpfer für das Vertrauen in das politische System insgesamt."

WKStA führt Ermittlungen gegen Kurz durch

Hajek verwies auf den Politologen Peter Filzmaier, der am Mittwochabend in der ORF-"ZiB2" die Frage "schon beantwortet" habe: "Wenn die Ermittlungen nichts ergeben, ist es (im Vergleich zum Ibiza-Video, das dem damaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache Staats- und Parteiamt gekostet hatte, Anm.) nichts. Wenn an der Geschichte etwas dran ist, und es ist zu betonen, dass für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung gilt, ist es wirklich ein Supergau."

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Kurz und neun weitere Personen wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Am Mittwoch haben Hausdurchsuchungen bei einigen engen Mitarbeitern des Kanzlers, in der ÖVP-Zentrale, im Kanzleramt und im Finanzministerium stattgefunden. Es geht um Gefälligkeitsberichterstattung der "Österreich"-Gruppe im Austausch für Inserate des Finanzressorts sowie aus Steuergeld finanzierte Umfragen, die nur dem Nutzen des späteren Kanzlers gedient hätten.

(APA/Red)

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