Razzia in deutscher Reichsbürgerszene: Auch in Österreich

Rund 3.000 Beamte seien in elf Bundesländern im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde. Sie wirft den Beschuldigten vor, den Umsturz des Staates vorbereitet zu haben. 22 der Festgenommenen sollen Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Acht der Verdächtigen sind inzwischen in Untersuchungshaft, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Mittwochnachmittag in Karlsruhe
Mit Ausnahme einer Russin waren alle Festgenommenen nach Angaben der Bundesanwaltschaft deutsche Staatsbürger.
Deutscher Verteidigungsausschuss berät nach Festnahmen
Weil sich nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums unter den Verdächtigen auch insgesamt drei Soldaten befinden, wird sich auch der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Großrazzia befassen. Die Ausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sagte dem "Tagesspiegel", sie habe das Thema in der kommenden Sitzung auf die Tagesordnung gesetzt. "Wir werden diese braune Suppe austrocknen", sagte Strack-Zimmermann.
Festnahmen in Kitzbühel und Perugia
Außerhalb Deutschlands gab es demnach Festnahmen in Kitzbühel und im italienischen Perugia. Nach Angaben des österreichischen Innenministeriums hat es in zwei Bundesländern Österreichs Durchsuchungen gegeben. Der "Kurier" berichtete in seiner Onlineausgabe, dass sich unter den Festgenommenen auch ein Oberösterreicher und ein Tiroler befänden. Es gebe insgesamt "Spuren zu drei Österreichern". Es soll demnach neben Kitzbühel auch in Niederösterreich im Bezirk Amstetten eine Durchsuchung gegeben haben, hier kam es jedoch zu keiner Festnahme. Es war zunächst unklar, ob Festgenommene auch die österreichische Staatsbürgerschaft hatten oder in Österreich ansässig waren. Auf der Namensliste der Bundesanwaltschaft befanden sich nur deutsche Staatsangehörige.
Karner zeigte sich erfreut über die Festnahmen
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zeigte sich erfreut über die Festnahmen: "Ein erfolgreicher Schlag gegen die verfassungsfeindliche, demokratiezersetzende und rechtsextreme Reichsbürgerszene in Deutschland und Österreich. Die Polizeibehörden haben einmal mehr effizient, zielgerichtet und erfolgreich für die Sicherheit der Menschen zusammengearbeitet", hieß es in einer Mitteilung des Innenministeriums.
"Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu blicken", sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser dazu. Justizminister Marco Buschmann bezeichnete die deutschlandweite Razzia als "Anti-Terror-Einsatz".
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßte den Schlag gegen Reichsbürger in Deutschland. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch in Berlin, dass die Aktivitäten und die Planungen etwa eines bewaffneten Überfalls auf den Bundestag "brandgefährlich" gewesen seien. "Wir tolerieren keinen Terrorismus", fügte er hinzu. Von dem Polizeieinsatz mit mehr als 3.000 Beamten gehe ein klares Signal aus.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich besorgt über die mutmaßlichen Umsturzpläne. Das sei "ein neues Niveau", so Steinmeier am Mittwoch gegenüber dem Radiosender MDR Aktuell. "Die Wehrhaftigkeit der Demokratie beweist sich auch darin, dass sich diejenigen, die anderer Meinung sind, die ein liberales, ein demokratisches, ein offenes Deutschland wollen, lauter äußern, als das gelegentlich der Fall ist", betonte er.
Reichsbürgerszene: 25 Festnahmen
22 der Festgenommenen sollen Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Weiters wurden drei Personen als Unterstützer festgenommen. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte die Sprecherin. "Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung", sagte sie der dpa. Sie begründe sich wohl auf Verschwörungsmythen. "Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen", sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck am Mittwoch auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa. Festgenommen wurden die Deutschen den Angaben zufolge in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen.
Razzien: Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann unter den Festgenommenen
Bei einer Festgenommenen handelt es sich um die Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann, eine frühere Bundestagsabgeordnete der rechtspopulistischen deutschen Partei AfD. Sie saß von 2017 bis 2021 im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück und ist am Landgericht Berlin tätig. "Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen", sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck am Mittwoch auf Anfrage der dpa. Die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker reagierte mit Bestürzung auf die Festnahme von Malsack-Winkemann. "Wir sind alle überrascht", sagte Brinker am Mittwoch. Allerdings gelte auch für Malsack-Winkemann zunächst die Unschuldsvermutung. "Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre sicher ein Parteiausschlussverfahren die Folge."
Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß ist Verdächtiger
Zu den Verdächtigen gehört auch der hessische Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß. Der 71-Jährige steht laut Bundesanwaltschaft im Verdacht, einer der Rädelsführer der mutmaßlichen Terrorgruppe gewesen zu sein. Den Ermittlungen zufolge soll der Mann Vorsitzender des zentralen Gremiums der Gruppe ("Rat") gewesen sein und im Fall des Umsturzes als "zukünftiges Staatsoberhaupt" gegolten haben. Er soll auch versucht haben, über die ebenfalls festgenommene Russin Vitalia B. Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen.
Russland bezeichnete die Razzia als innere Angelegenheit Deutschlands. "Das ist eher ein inneres Problem der BRD. Sie haben selbst konstatiert, dass hier keine Rede von einer Einmischung Russlands sein kann", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der russischen Agentur Interfax zufolge zu den mutmaßlichen Umsturzplänen. Russland habe das nur aus den Medien erfahren und könne nichts dazu sagen, meinte Peskow.
Zentrales Gremiums der Gruppe sie "Rat" gewesen
Zentrales Gremium der Gruppe sei ein "Rat" gewesen, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. "Die Mitglieder des "Rates" haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen". Mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs hätte eine Übergangsregierung die neue staatliche Ordnung in Deutschland verhandeln sollen. "Zentraler Ansprechpartner für diese Verhandlungen ist aus Sicht der Vereinigung derzeit ausschließlich die Russische Föderation."
Razzien in der Reichsbürgerszene auch in Österreich
Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben. Noch am Mittwoch wollte die deutsche Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen, wie die Sprecherin sagte.
"Reichsbürger" erkennen Bundesrepublik nicht an
"Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.
Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein sogenannter Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.
(APA/Red)