Bedrängt von einer Serie von Pannen und Problemen in der Innen- wie in der Außenpolitik, haben Putin und seine Minister zuletzt zunehmend dünnhäutig auf Kritik aus dem Ausland reagiert – wie immer, wenn sich der Kreml in die Defensive gedrängt fühlt.
Bei seiner Wiederwahl vor einem Jahr schien der russische Präsident noch unangreifbar zu sein: Ohne nennenswerte Opposition wurde er Mitte März mit einem Stimmenanteil von 71,3 Prozent im Amt bestätigt, im Parlament haben seine Anhänger eine klare Mehrheit. Einzige Schwachpunkte waren damals der schwelende Konflikt in Tschetschenien und der unbewiesene Verdacht, dass die juristische Kampagne gegen den Ölkonzern Yukos und seinen Vorstandschef Michail Chodorkowski ein Rachefeldzug des Kremls sei.
Danach aber eskalierte der Konflikt im Kaukasus. Im Mai ermordeten die Rebellen den von Moskau unterstützten tschetschenischen Präsidenten Achmad Kadyrow. Einen Monat später stürmten Kaukasus-Nationalisten das Innenministerium und andere Behörden in Inguschetien – 90 Menschen kamen ums Leben, und riesige Mengen von Waffen wurden entwendet. Im August wurden nahezu gleichzeitig zwei Bombenanschläge auf Passagierflugzeuge und ein Anschlag auf eine Moskauer U-Bahn-Station verübt. In einem Blutbad endete schließlich die Geiselnahme von Beslan. Auch wenn der Tod von mehr als 330 Menschen, die Hälfte von ihnen Kinder, weltweit verurteilt wurde, demonstrierte der Überfall das Scheitern von Putins Kaukasus-Politik und seiner Weigerung, mit den tschetschenischen Rebellen zu verhandeln.
Die USA und die europäischen Regierungen halten Verhandlungen über Tschetschenien für unumgänglich. Aber anstatt nach neuen Wegen der Konfliktlösung zu suchen, benutzte Putin die Anschläge als Vorwand, um die direkte Wahl der Gouverneure in den Regionen abzuschaffen und die Kontrollbefugnisse der zentralen Staatsmacht zu stärken.
Putins Bekenntnis zum Rechtsstaat wurde mit dem Fall Yukos in Zweifel gezogen. Jede neue Anordnung zur Nachzahlung von Steuern und jede Ablehnung von Anträgen des inhaftierten Managers Chodorkowski verstärkten die Besorgnis, dass der Kreml nur versuche, das Unternehmen zu zerschlagen und unter staatliche Kontrolle zu bringen. Das Vorgehen gegen Yukos hat auch amerikanische Investoren nachdenklich gemacht und stellt die geplante Ausweitung der Öl- und Erdgasimporte aus Russland in Frage, mit denen die USA ihre Abhängigkeit von der Primärenergieversorgung aus dem Nahen und Mittleren Osten verringern wollen.
Zuletzt lösten die Sozialreformen mit der Abschaffung von kostenlosen Fahrten im öffentlichen Nahverkehr und subventionierten Medikamenten für Alte und Kranke anhaltende Massenproteste aus. Putin wies die Einwände zurück und sorgte damit nur für ein weiteres Anwachsen der Protestbewegung.
Im Konflikt um die Präsidentenwahl in der Ukraine verlor Putin auch international an Ansehen. Seine entschiedene Parteinahme für den letztlich unterlegenen Kandidaten Viktor Janukowitsch wurde als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staats betrachtet – Putin gratulierte Janukowitsch schon vor Veröffentlichung des amtlichen Ergebnissens und vor der Annullierung der Wahl durch das Oberste Gericht in Kiew. Putins Antwort auf die Kritik des Auslands war eine verärgerte Erklärung, in der dem Westen eine Einmischung in der Ukraine vorgeworfen wurde.
Kritischen Fragen muss sich Putin auch bei der Zusammenarbeit Russlands mit dem Iran stellen. Und in der Nahostpolitik gehört Russland zwar dem internationalen „Quartett“ für den Friedensplan der Roadmap an, hält aber weiter an Rüstungsgeschäften mit Syrien fest.
Amerikanisch-russische Gipfelbegegnungen haben nach 1945 mehrmals Abrüstungsverträge von historischer Bedeutung zustande gebracht. Diese Zeiten sind vorbei. Die Sowjetunion wurde 1991 aufgelöst, das Russland unter Putin ist keine Supermacht mehr, und die Sorge um den Weltfrieden hat sich auf die unberechenbaren Aktionen von Terroristen oder Staaten wie Nordkorea verlagert.