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Putin als Krisenmanager in der Zwickmühle

Das Geiseldrama unweit des Moskauer Kremls stellt den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor die bisher schwerste Prüfung seiner Amtszeit.

Schließlich war es Tschetschenien, das dem bis dahin weitgehend unbekannten Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB 1999 als Sprungbrett an die Spitze der russischen Regierung und nur kurz darauf an die Staatsspitze diente. Die Vergangenheit habe Putin eingeholt, meinten Beobachter.

Immer noch kursieren in Russland Gerüchte, der FSB habe damals die blutigen Terroranschläge auf Wohnhäuser in Moskau und anderen Städten inszeniert, um einen Vorwand für den späteren Einmarsch der Streitkräfte in Tschetschenien zu liefern. „Jetzt haben die Tschetschenen Moskau erobert, Russland hat den Krieg verloren“, sagte ein Politologe am Freitag.

„Das Leben der Menschen hat Vorrang“, sagte Putin am Freitag bei einem Treffen mit Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow und Innenminister Boris Gryslow. Diese Worte waren ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Angehörigen der rund 700 Geiseln im Konzertsaal der Kugellagerfabrik. Tags zuvor hatte der Staatschef noch die Parole an die Sicherheitskräfte ausgegeben, bei der Planung zur Befreiung der Geiseln deren „maximale Sicherheit“ zu berücksichtigen.

Doch viel mehr Hoffnung kann Putin den Geiseln nicht machen. Schließlich blockiert seine eigene Anweisung von Anfang 2000, dass keine offiziellen Verhandlungen mit Vertretern der Tschetschenen geführt werden dürfen, vorerst alle Vermittlungsbemühungen, wie der für Tschetschenien zuständige Kreml-Vertreter Sergej Jastrschembski andeutete. Vize-Regierungschefin Valentina Matwijenko gab zu verstehen, dass ein Nachgeben des Kremls auf die Forderungen der Geiselnehmer nach einem sofortigen Abzug der russischen Streitkräfte aus Tschetschenien unmöglich sei. „Es geht dort nicht um Krieg, sondern um die Entwaffnung illegaler Banden, und wir als Staat müssen das tun, um ein größeres Blutvergießen zu vermeiden.“

Der starke Mann im Kreml ist plötzlich einsam geworden, denn er steckt in der Zwickmühle. Eine Nation blickt auf ihn, wartet auf seinen nächsten Schritt. „Er hat eine schwere Wahl – entweder das Ansehen des Staates oder das Leben der Geiseln“, meinte Dmitri Olschanski, Leiter des Moskauer Zentrums für strategische Analysen. Schließlich habe Putin selbst dafür gesorgt, dass er die alleinige Entscheidungsgewalt hat.

„Egal was der Präsident sagt, es kann nur schlecht sein“, meinte der renommierte Politologe Wjatscheslaw Nikonow. „Dies entweder aus politischer Sicht oder mit Blick auf die Ereignisse im Konzertsaal.“ Mit Sicherheit jedoch würden viele Opfer unter den Geiseln für Putin „schwere politische Folgen“ haben.

Unerwähnt blieb dabei Putins erster Misserfolg bei einem Krisenmanagement, das ihm erstmals schwere Kritik im Lande eingebracht hatte. Damals, im August 2000, hatte er nach dem Unglück des Atom-U-Bootes „Kursk“ die Ereignisse über Tage hinweg von seinem Feriendomizil in Sotschi am Schwarzen Meer verfolgt, anstatt sich direkt an den Unglücksort oder in den Kreml zu begeben.

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