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Psychologin zu Jugendgewalt: "Bewegen uns auf sehr glattem Parkett"

Die eine Ursache für Jugendgewalt gibt es nicht. Der Keim dafür wird aber schon früh in der Kindheit gelegt, ist Pädagogin und Psychologin Elfriede Wegricht überzeugt: "Kinder werden nicht gewalttätig geboren. Fehlt ihnen aber die Familie als sicherer Ort der Zuflucht, des Rückhalts und der Kommunikation, werden sie unsicher."

Was Unsicherheit und Angst erzeugt, macht auch aggressiv. Aussagen wie “der hat mich blöd angeschaut” sind Zeichen der “Sprachlosigkeit” der Jugend. “Es wird interpretiert, aber nicht mehr kommuniziert”, sagte die Psychologin im APA-Gespräch.

Die Sprache, die uns von den Tieren unterscheidet, wird nicht mehr eingesetzt. Stattdessen lassen wir Fäuste sprechen. Das Reden Lernen beginnt mit der non-verbalen Kommunikation mit der Mutter in den ersten Lebensjahren, die Entstehung einer sicheren Mutter-Kind-Bindung spiele eine wesentliche Rolle. Kinder brauchen Sicherheit. “Sie müssen darauf vertrauen können, wenn ich schreie, kommt die Mama”, so die Psychologin. “Ich kann an ihrem Gesicht, ihrer Mimik ablesen, was sie mir sagen will.” Viele Kinder haben heute aber gar nicht mehr die Chance das zu lernen. Sie kommen früh in die Kinderkrippe, wachsen in Patchworkfamilien auf, oder es wird einfach nicht mehr geredet.

“Der hat mich blöd angeschaut, drum hab’ ich zugeschlagen” – eine Aussage, die die Fachfrau aus Gesprächen mit Kindern in ihrer Praxis kennt. “Kinder schlagen zu, weil sie ihre Stärke, die in Wirklichkeit eine Schwäche ist, beweisen wollen. Und sie interpretieren irgendetwas, kommunizieren aber nicht miteinander. Angst, Unsicherheit und fehlende Geborgenheit führen zu Gewalt. Wenn ich sicher und wo zugehörig bin, muss ich mich nicht beweisen”, sagte Psychologin Elfriede Wegricht.

“Wir lernen nun einmal am Modell. Das Beispiel, das gezeigt wird, hat einen starken Einfluss.” Kinder ahmen die Mutter, den Vater nach. Genauso ist es in allen anderen Lebensbereichen. Wächst der Jugendliche in einer gewaltbereiten Familie auf, so wird er Gewalt normal finden.

Kinder orientieren sich an der Familie. Ist diese nicht vorhanden, suchen sie Alternativen. Die Medien zum Beispiel. “Leider wird Kraft und Stärke häufig mit Gewalt assoziiert. Studien von Klaus Hurrelmann haben z.B. festgestellt, dass Kinder, die gewalttätige Inhalte sehen, auch gewaltbereiter sind”, sagte die Psychologin.

“Ich glaube schon, dass Jugendliche und Kinder viel Anregung aus dem Fernsehen und von Videospielen mitnehmen. Die Spirale der Gewalt dreht sich, warum sollte das gerade bei der Gewalt anders sein?”, so Wegricht weiter. Kinder müssen gerade in der heutigen Zeit noch mehr strampeln, um an der Oberfläche zu bleiben.

Soziale Unsicherheit oder eine gewaltorientierte Sprache sind ein weiterer Nährboden. Wenn man sich die Brutalität der Jugendlichen im aktuellen Fall ansieht, müsse man sich immer fragen: “Woher kommt der Jugendliche? Was ist ihm passiert? Wie konnte er einen derartigen Gewaltpegel aufbauen?”. All diese Fragen müsse man analysieren. “Ich sage schon, dass unsere Gesellschaft eine kranke Gesellschaft ist. Ich will nicht pessimistisch sein, aber die Werthaltung ist oft eine verrückte”, sagte die Psychologin.

Langeweile sei ebenfalls ein wichtiges Thema. “Wenn ich einen Lehrlauf habe und mir nichts geboten wird, dann muss diese Fadesse gefüllt werden. Und diese fülle ich mit Blödheit”, sagte Wegericht.

Auch die Diskussion um Videoüberwachung in Schulen sei laut Wegricht eine Auswirkung dessen. “Wir versuchen damit ein Symptom zu bekämpfen. Wir geben ein Pflaster auf das Wimmerl, aber die Ursache wird nicht erforscht.” Das Ganze komme einem Ausdruck von Hilflosigkeit gleich. “Wir sind alles nur Menschen und manchmal ziemlich überfordert”, sagte die Psychologin.

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