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Prozess: Helferin und Pfleger ließen dementen Wiener in Fäkalien liegen

Bei den Hausbesuchern wurde nur selten ins Zimmer des Patienten geschaut.
Bei den Hausbesuchern wurde nur selten ins Zimmer des Patienten geschaut. ©APA/dpa
Eine Heimhelferin und ein Pfleger stehen heute vor Gericht, weil sie einen dementen, bettlägerigen Patienten unzureichend betreut haben sollen.

Der Patient war 2015 nach einem längeren Krankenhausaufenthalt nach Hause entlassen worden. Seine damals 71 Jahre alte Ehefrau – selbst an Diabetes erkrankt und schlecht bei Fuß – kümmerte sich um ihn. Zur Unterstützung bekam sie eine Heimhelferin zur Verfügung gestellt, die sechs Mal pro Woche für jeweils eine Stunde vorbeischaute.

Patient habe Helferin beschimpft

“Ich habe den Boden aufgewischt, Staub gewischt, das Geschirr gemacht. Ich bin zum Arzt und einkaufen gegangen”, gab die 55-jährige Frau zu Protokoll, der grobe Vernachlässigung vorgeworfen wurde. In das Zimmer, in dem der Mann lag, sei sie selten gekommen: “Ich war vielleicht zwei Mal drinnen.” Sobald sie sich der Schwelle näherte, hätte sie nämlich der Patient durch die geöffnete Türe wüst beschimpft. Seine Ehefrau hätte ihr deshalb eingeschärft, den Raum nicht zu betreten, “sonst schreit er den ganzen Tag”.

Die Anklage legte der Heimhelferin konkret zu Last, nicht für Hilfe gesorgt zu haben, obwohl sie erkennen hätte müssen, dass diese dringend vonnöten war. “Mir wär’ nicht aufgefallen, dass es ihm schlecht geht”, meinte die 55-Jährige. Die Ehefrau habe “nie geäußert, dass sie Hilfe braucht. Mir wäre das auch nicht bewusst gewesen”. Die Ehefrau sei “die verlängerte Hand des Herrn gewesen. Ich hab’ nur den Haushalt gemacht.”

In Fäkalien gelegen, Haut abgelöst

Als es dem Patienten im November 2016 immer schlechter ging, verständigte die Ehefrau die Rettung. Die Sanitäter waren schockiert, als sie den Mann sahen. Dieser wurde auf Veranlassung eines Amtsarztes sofort in ein Krankenhaus gebracht. Der Mann war im eigenen, eingetrockneten Kot gelegen, seine Haut hatte sich infolge von langem Liegen in unveränderter Position teilweise bereits vom Rücken gelöst. Im Krankenbett befanden sich teils verschimmelte Essensreste, die Matratze war mit Urin getränkt. Wie ein junger Sanitäter in seinem Einsatzbericht festhielt, war der Geruch in der Zwei-Zimmer-Wohnung derart streng, dass die Helfer nach dem Einsatz ihre Kleidung wechseln mussten.

“Er war von oben bis zu den Zehen voller Wunden”, beschrieb die im Auftrag der Justiz beigezogene medizinische Sachverständige für Gesundheits- und Krankenpflege, Gertrude Allmer, den Zustand des betagten Mannes. Dessen Fingernägel waren bei der Aufnahme im Spital bis zu zehn Zentimeter lang. Der Patient war außerdem dehydriert.

Krankenpfleger mitangeklagt

Der mitangeklagte Gesundheits- und Krankenpfleger hatte den Mann im März 2015 und im März 2016 besucht. Beim ersten Mal sei ihm “ein älterer, gepflegter Herr” gegenüber gesessen, erinnerte sich der 57-Jährige. Nach einigen Minuten habe jener “Ich will in mein Bett” verlautet und hätte sich zurückgezogen. Er habe das Gespräch mit der Gattin fortgesetzt und dabei den Eindruck gewonnen, diese sei “rüstig genug”, dass sie die Betreuung ihres Mannes “mit einer Hilfestellung schafft”.

Auch im März 2016 habe es “keinen Verdachtsmoment” gegeben, betonte der Angeklagte. Zwar zeigte sich der Patient diesmal nicht mehr – er hätte diesen “nur von der Küche aus” erblickt, weil ihm seitens der Ehefrau erklärt wurde, der Patient hätte schon gefrühstückt und wolle nicht mehr rauskommen. Als er in das Krankenzimmer wollte, hätte ihn der Patient “angepfiffen und rausgeschickt”, erklärte der Angeklagte. Dem sei er nachgekommen: “Er hat das Recht, einen schlechten Tag zu haben und sich nicht zu zeigen.” Für ihn wären “Immobilität und Bettlägerigkeit” aber nicht ersichtlich gewesen, weil er zufällig mitbekam, wie sich der Mann kurz von seinem Krankenlager erhob, in eine Harnflasche urinierte und sich dann wieder hinlegte.

Patient war dement und Alkoholiker

Die Sachverständige hielt dem Angeklagten darauf entgegen, der Patient sei 2015 mit dem Befund Mischdemenz, organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma und Alkoholabhängigkeit nach Hause entlassen worden. “Alkoholiker muss nicht immer schlecht sein”, entgegnete darauf der 57-Jährige. Zugleich räumte er jedoch ein, im Nachhinein “zu nachsichtig” gewesen zu sein: “Durch diesen Fall sind sehr viele Sachen zutage gekommen, die jetzt besser gemacht werden. Es wird mir nicht mehr passieren.”

Der betroffene Patient lebt mittlerweile in einem Pflegeheim. Gegen die Ehefrau und zwei Söhne – einer von ihnen hatte die Eltern täglich, der zweite wöchentlich besucht – war von der Staatsanwaltschaft ebenfalls ermittelt worden. Das gegen die Angehörigen geführte Verfahren wurde eingestellt.

Ehefrau: “Hab das nicht mehr geschafft”

Die Ehefrau des Patienten legte im Zeugenstand dar, dieser wäre im Frühsommer 2016 bettlägerig geworden. Er habe nicht zugelassen, dass sich die Heimhelferin um ihn kümmert und sein Zimmer betritt: “Er hat alle geschimpft. Er wollt’ nicht, dass es ein anderer sieht.”Daher habe sie ihren Mann betreut, erzählte die mittlerweile 75-Jährige. Vieles habe er sich aber bloß “fallweise” machen lassen, drückte sich die Zeugin aus. Zuletzt habe er sich “auch gegen mich gewehrt”. Sie sei “zu schwach” gewesen, um ihren Mann ins Pflegeheim zu geben. “Ich hab’ das ganz einfach nicht mehr geschafft”, bilanzierte die 75-Jährige. Sie habe der Heimhelferin zwei Mal gesagt, “dass die Probleme mehr werden”. Diese hätte darauf nicht reagiert.

Die Verhandlung gegen die Heimhelferin und den mitangeklagten diplomierten Gesundheits-und Krankenpfleger – es handelt sich dabei um keinen Mitarbeiter des Fonds Soziales Wien (FSW), sondern einen Beschäftigten einer Betreuungseinrichtung – wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Richter Stefan Erdei lässt ein weiteres Gutachten einholen und will noch einige Zeugen hören.

(APA/red)

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