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Prozess gegen Wiener Sittenwächter: 15 Monate Haft

Sittenwächter machten Großraum Wien unsicher: Fünf Männer vor Gericht.
Sittenwächter machten Großraum Wien unsicher: Fünf Männer vor Gericht. ©APA/HERBERT-PFARRHOFER
Fünf mutmaßliche Sittenwächter haben sich am Mittwoch vor einem Wiener Schöffengericht wegen krimineller Vereinigung verantworten müssen. Ein Beschuldigter wurde bereits schuldig gesprochen, das Verfahren gegen die vier anderen wurde ausgeschieden.
Tschetschenische Sittenwächter vor Gericht

Die Tschetschenen im Alter von 19 bis 40 Jahren sollen in Chat-Kanälen des Messengerdienstes Telegram als Administratoren agiert haben, um in der tschetschenischen Community ein der Scharia konformes Verhalten durchzusetzen.

38-Jähriger wurde zu 15 Monaten Haft verurteilt

Der 38-jährige Erstangeklagte, der sich im Endeffekt als einziger zur Gänze schuldig bekannte, wurde zu 15 Monaten, davon fünf Monate unbedingt, verurteilt. Er soll unter den Chat-Namen "King of the Night", "Kanzler", "Celentano" und "Santa Clause" die Chats verwaltet haben. Da er bereits von Sommer bis Ende 2020 in U-Haft gesessen ist, muss er nicht mehr ins Gefängnis. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Der Familienvater ist gerichtlich unbescholten und das zeigte sich wie das umfassende Geständnis als Milderungsgrund. Gegen die anderen Beschuldigten wird an zwei weiteren Prozesstagen verhandelt. Ein Termin steht noch nicht fest, die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

Drei Männer weisen bereits einschlägige Vorstrafen auf. Laut Staatsanwaltschaft agierte die Gruppierung seit Anfang 2020 im Großraum Wien, indem sie mit Morddrohungen, Nötigung oder mit der Androhung, die gesellschaftliche Stellung zu vernichten, gegen sittenwidriges Verhalten vorgingen. Dazu wurden etwa Social Media-Profile tschetschenischstämmiger junger Frauen auf ein solches Verhalten durchforstet und überwacht. Am Ende hatte die Gruppe Hunderte Mitglieder, die Beobachtungen durchführten und Verfehlungen meldeten.

Sittenwächter organisierten sich über Chats

Vorgeblich sittenwidriges Verhalten - etwa wenn tschetschenischstämmige Frauen Kontakt zu Männern einer anderen Ethnie hatten - wurde von den Mitgliedern mittels Fotobeweis und einer kurzen Sachverhaltsdarstellung gemeldet. Die Administratoren der Gruppe ermittelten der Staatsanwältin zufolge daraufhin Wohnadressen sowie Schul- bzw. Arbeitsplätze der jungen Frauen, die dann observiert wurden. Daraufhin wurde ein "belehrendes" Gespräch mit den Betroffenen geführt. Zeigten sie sich einsichtig, blieb es bei einer Verwarnung. Weigerten sich die Betroffenen, ihr Verhalten zu ändern, kam es zu den Drohungen bzw. wurde Druck ausgeübt, indem etwa die Familie der Frau kontaktiert wurde.

Den Sittenwächtern ging es laut Staatsanwältin darum, den in Tschetschenien vorherrschenden "Adat" aufrecht zu erhalten, das ungeschriebene Gewohnheitsrecht, das auf Sitte, Tradition und Brauchtum setzt. So reichte es schon, wenn eine junge tschetschenische Frau ein Urlaubsfoto über soziale Netzwerke verbreitete, sich in der Öffentlichkeit zu freizügig zeigte oder Gerüchte kursierten, diese sei in einer Beziehung mit einem nicht tschetschenisch-stämmigen Mann. Es kam laut Anklage vor, dass die Betroffenen unter Gewaltandrohung ihre Liebesbeziehung beenden mussten, es wurde ihnen Mobiltelefone gewaltsam abgenommen oder die Opfer abgepasst und geschlagen.

So wurde in Favoriten ein Jugendlicher von nicht ausgeforschten Tätern zusammengeschlagen, weil dieser eine Beziehung zu einer Tschetschenin unterhielt. Nachdem man dem Burschen die Nase gebrochen hatte, wurde seiner Freundin mitgeteilt, dieser wäre im Fall einer Anzeigeerstattung tot.

Nur ein Angeklagter bekannte sich schuldig

Am Ende bekannte sich nur der bereits verurteilte Mann schuldig, alle anderen dementierten die Vorwürfen. Er sei Mitglied der Gruppe gewesen, sei sich aber der Tragweite nicht bewusst gewesen, sagte einer etwa zu Richterin Katharina Adegbite-Lewy. Der Erstbeschuldigte wollte vor Gericht keine Aussage mehr machen, sagte aber zuvor bei der Polizei, dass der Chat-Kanal für Landsmänner ins Leben gerufen wurde, um diese abzulenken. Dass dabei auch Frauenfotos gepostet wurden, rechtfertigte er damit, dass gezeigt werden sollte, was für ein Leben diese führten, um niemand anderen dazu zu verleiten.

Zwei Beschuldigte behaupteten, sie hätten sich in die Gruppe geschleust, weil sie selbst zuvor Opfer der Sittenwächter gewesen seien. Der eine hatte öffentlich eine Shisha geraucht, der andere ist tätowiert. Fotos von ihnen, die sie auf Instagram gepostet hatten, wurden in der Sittenwächter-Gruppe thematisiert. Deshalb seien sie vom Obmann eines tschetschenischen Kulturvereins beauftragt worden, sich dieser Chat-Gruppe anzunehmen. Der 19- und der 40-Jährige sollten die Mitglieder animieren, die Verfehlungen nicht im Chat zu thematisieren, sondern das den Älteren im Kulturverein zu berichten, um das Problem ohne Gewalt zu lösen. "Das ist in Österreich ja grundsätzlich nicht verboten", sagte der 19-Jährige. "Also, in Wahrheit haben Sie gegen diese Kanäle gearbeitet", fragte ihn Richterin Adegbite-Lewy. "Ja", meinte der 19-Jährige. Dazu kündigte sein Anwalt Florian Kreiner an, den Obmann dieses Vereins als Zeuge zu beantragen.

Mutmaßlicher Kopf der Gruppierung nach Ausschreitungen in Wien-Favoriten festgenommen

Als Kopf der Gruppierung agiert ein Mann mit dem Chat-Namen "Heinrich Himmler". Der 20-jährige Fünftangeklagte steht im Verdacht, dieser Mann zu sein. Der Tschetschene wurde im August 2020 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung im Zuge der Ausschreitungen in Wien Favoriten festgenommen. Der Mann sitzt derzeit in Strafhaft, nachdem er wegen der Bildung einer kriminellen Organisation und terroristischer Vereinigung bereits vor Gericht saß. Er bestreitet, der Leiter der Sittenwächter zu sein. Er hätte im Chat und bei einem Treffen nur aus Spaß gesagt, er sei "Heinrich Himmler". "Das ist nicht als Geständnis zu werten", sagte der 20-Jährige. Er habe den Chat als "Unterhaltungsgruppe" gesehen. "Ich bin jung, ich brauche Unterhaltung, ich bin viel im Internet", so der Beschuldigte. "Wir sind in Österreich und in einem freien Land. Mich hat es nichts anzugehen, was wer macht."

(APA/Red)

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