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Pressestimmen zur Lage im Irak

Die US-Tageszeitung "New York Times" schreibt am Dienstag zur geplanten Machtübergabe im Irak: "Präsident Bush klammert sich weiter an den politisch angestrebten Stichtag 30. Juni".

Jeder ist darauf aus, das Land in die Hände der Bevölkerung zurückzugeben. Es ist aber nicht das Gleiche, einfach an einem Zeitplan festzukleben oder wirkliche Fortschritt in Richtung Selbstverwaltung zu machen. Nach den Zusammenstößen am Wochenende zwischen den von Amerika geführten Besatzungstruppen und schwer bewaffneten Milizen, die Anhänger eines schiitischen muslimischen Geistlichen sind, präsentierte Bush das Datum als einen Wendepunkt und dessen Zeitvorgabe als einen Test für den amerikanischen Willen. Tatsächlich ist weder das eine noch das andere richtig.

Bisher ist das Datum 30. Juni nichts als ein Eintrag auf einem Kalender im Irak und etwas Symbolismus im Wahljahr daheim. Niemand weiß überhaupt, wie der neue irakische Verwaltungsrat aussehen wird und wie man die, die ausgesucht wurden zu dienen, davor bewahren will, wie reine Marionetten der Amerikaner auszusehen.“

„Washington Post“ (Washington):
„Der Ausbruch der Gewalt zwischen amerikanischen und Koalitionstruppen sowie einer radikalen schiitischen Miliz markiert im Irak sicherlich erneut eine Wende zum Schlechteren. (…) Über Monate hat es sich erwiesen, dass es unmöglich sein wird, den Irak unter einer Übergangsregierung zu stabilisieren, und dass die Aussichten für die im kommenden Jahr geplanten demokratischen Wahlen weitaus schlechter sind, es sei denn, die verschiedenen Milizen werden entwaffnet und aufgelöst. Die Armee von Sadr ist die gefährlichste unter ihnen. Wochenlang gab es eine Debatte innerhalb der Besatzungsverwaltung darüber, ob und wie Sadr zu begegnen sei. Mit den Angriffen vom Sonntag auf die Koalitionstruppen hat der Geistliche möglicherweise dafür gesorgt, dass dem ein schmerzvoller aber notwendiger Kampf vorangeht.“

„The Guardian“ (London):
„Die Verzweiflung in Washington ist jetzt kein Geheimnis mehr. Doch wie sehr die USA diese Krise auch selbst verschuldet haben mögen, indem sie einen nicht durchdachten Krieg ohne Rücksicht auf die Folgen geführt haben: Diese Krise geht alle Iraker und die gesamte Region an. Der Rest der Welt muss dafür jetzt Mitverantwortung übernehmen. Mit fortschreitender Verschlechterung der Lage setzen die USA ihre Hoffnungen bereits stillschweigend auf die UNO. Unglücklicherweise haben wir uns mittlerweile so sehr damit abgefunden, dass der Irak eine Sache der USA ist, dass kaum mehr über Alternativen diskutiert wird.“

„The Independent“ (London):
„Die US-geführten Truppen im Irak sehen sich jetzt ihrem schlimmsten Albtraum gegenüber: Die Gewalt breitet sich von den Sunniten im Zentralirak zur schiitischen Mehrheit im Süden und in Bagdad aus. Ein Großteil des Problems rührt von der für den 30. Juni angestrebten Machtübergabe her. Dieses künstliche Datum hat Washington vor allem im Hinblick auf Präsident Bushs Wahlkampferfordernisse festgesetzt.

Es muss jetzt die Frage gestellt werden, ob die USA diese Juni-Frist aufrechterhalten können. Richard Lugar, der republikanische Vorsitzende des mächtigen Senatskomitees für Außenbeziehungen, hat bereits eine Verzögerung der Machtübertragung gefordert. Großbritannien wäre gut beraten, das gleiche zu tun.“

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