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Pressestimmen zu Folterskandal

Mit der Form der "Aufarbeitung" des irakischen Gefangenen-Folterskandals durch die Besatzungsmächte befassen sich am Montag zahlreiche europäische Zeitungen.

„Neue Zürcher Zeitung“
„Die USA haben die stärkste Armee der Welt; ihre Streitkräfte haben bewiesen, dass sie Tyrannen stürzen und feindliche Divisionen über den Haufen rennen können. Aber der Aufbau eines funktionsfähigen Staatswesens in einer fremden Umwelt erweist sich als Überforderung. Auch die erbitterte – und letztlich erfolgreiche – Gegenwehr eines zahlenmäßig stark unterlegenen Gegners in Falluja hat die Ohnmacht der vermeintlichen Supermacht offenbart. Nun zeigt sich das Pentagon noch in einer anderen Hinsicht machtlos. Dass in Kriegen Menschenrechtsverletzungen verübt werden, ist nichts Neues. Aber dass die Täter dies auch noch dokumentieren und ihre Digitalaufnahmen dank den Mitteln des Informationszeitalters beliebig kopieren und versenden können, hat die Behörden überrumpelt. Obwohl das Pentagon von der Existenz der Misshandlungsbilder monatelang gewusst hatte, schaute es passiv zu, bis diese ihre Sprengkraft entluden.“

„die tageszeitung“ (taz):
„Nicht das Wissen um die Folter, erst die Bilder aus Abu Ghraib haben einen Aufschrei ausgelöst – auch in den USA. Anwälte und Sozialarbeiter, die mit dem US-Strafvollzug zu tun haben, sind allerdings keineswegs überrascht. Misshandlung von Gefängnisinsassen ist dort kein Karrierehindernis. (…) Im Herbst 2003 waren die US-Soldaten im Abu-Ghraib-Gefängnis (und nicht nur dort) längst dabei, den ’Krieg um Ideen’ zu verlieren. Das wusste damals auch schon, wer es wissen wollte. Im Herbst 2003 wusste man auch, dass die Behandlung der ’enemy combattants’ in Guantanamo Bay gegen die Antifolterkonvention verstößt. Dass ausgerechnet die (bislang) einzige Frau und der rangniedrigste Soldat unter den Beschuldigten zum Gesicht der Folter werden, zeigt, wie sich die militärisch und politisch Verantwortlichen die Aufarbeitung dieses Skandals wünschen: als medialen Exorzismus einiger weniger fauler Äpfel, die ’unamerikanisch’ sind und Schande über das Land gebracht haben. Wenn man George W. Bush und Donald Rumsfeld in den letzten Tagen zuhörte, konnte man meinen, dass der Entzug der Staatsbürgerschaft die geeignete Strafe sei.“

„Stuttgarter Nachrichten“:
„Beunruhigend ist schon jetzt, dass auch die britischen Folterknechte sich mit ihren Untaten gar noch brüsten. Der jüngste Skandal kam heraus, als ein Soldat den Film mit den abstoßenden Fotos beim Drogisten an der Ecke zum Entwickeln ablieferte – als ob es sich um Schnappschüsse aus dem Urlaub handelt. Fühlte man sich etwa gedeckt durch die Vorgesetzten und daher in Sicherheit? Der britische Verteidigungsminister steht jetzt als Erster im Kreuzfeuer der Kritik. (Premier Tony) Blair wird sich aber nicht lange abseits halten können. In einer der ältesten Demokratien der Welt mussten Politiker schon aus geringerem Anlass den Hut nehmen.“

„Westdeutsche Zeitung“:
„Stärke zeigt sich im Umgang mit Schwachen. Aus dem, was scheibchenweise aus irakischen Gefängnissen ans Licht der Öffentlichkeit dringt, lässt sich nur eins schließen: Denjenigen, die in Amerika die Verantwortung tragen, fehlt jedes Format. Diese Administration spricht von ’Freiheit, Recht und Sicherheit’ und kann Folter, Willkür und Entwürdigung nicht verhindern. Es wird Generationen dauern, bis dieses Bild vom Westen in arabischen Köpfen wieder gelöscht sein wird.“

„Süddeutsche Zeitung“:
„Im öffentlichen Leben Amerikas tummeln sich nicht wenige, die geistig als etwas minderbemittelt gelten dürfen. Doch nicht einmal die eifrigsten Kritiker der amerikanischen Kultur und Gesellschaft werden Präsident Bush und Senator Kerry (nebst Rumsfeld und seinen Generälen) wohl für so dumm halten, selbst an die Erklärungen zu glauben, die sie verbreiten. Die brutale Misshandlung und Erniedrigung irakischer Gefangener, die dabei in unbekannter Zahl zu Tode kamen, war das Ergebnis einer Strategie, die mit vollem Wissen der Geheimdienste und unter Einbeziehung der militärischen Hierarchien angewandt worden ist. Verstöße gegen die Genfer Konvention wurden dabei in Kauf genommen. (…) Besondere Aufmerksamkeit sollten wir dem offen sexualisierten Sadismus der Gefangenenfotos widmen. Die heftigen Angriffe auf die Sexualität durch selbst ernannte Sittenwächter in den Vereinigten Staaten verraten eine obsessive Anziehung – interessant wäre ein Vergleich der Verkaufszahlen der Bibel und anderer religiöser Literatur mit den Verkaufszahlen pornografischer Videos in den US-Staaten, die bei den letzten Wahlen für Bush stimmten.“

„Abendzeitung“ (München):
„Der Geheimbericht hat 53 Seiten, sein Tonfall ist knapp, nüchtern – doch der Inhalt bedeutet nichts weniger als eine Katastrophe für die USA. (…) ’Schlagen, treten, Gefangenen auf die Füße springen’, so fängt die Liste an. ’Nackte Männer zum Tragen von Frauenwäsche zwingen. Männergruppen zur Masturbation zwingen. Nackte Männer zum Haufen arrangieren, daraufspringen.’ Weiter mit der simulierten Elektroschockfolter an einem Nackten, mit Hunde-Hetzjagden auf Häftlinge und dem Umherführen eines Mannes an einer Leine. Dann ein Vergehen, von dem man bisher nichts wusste: ’Ein Militärpolizist beim Sex mit einer Gefangenen.’ Weiter unten: ’Vergewaltigen eines Häftlings mit einem Leuchtstab, vielleicht einem Besenstiel.’ Sexuelle Schändung in Abu Ghraib – das gibt dem ohnehin ungeheuren Folterskandal eine neue Qualität. (…) Die USA stehen vor einem einzigartigen politisch-moralischen Absturz. Das vielleicht Verstörendste an diesem Skandal ist, dass die Soldaten, falls sie auf Befehl handelten, nicht an zivilen Ungehorsam dachten.“

„Berner Zeitung“:
„Wie die Regierung der USA versucht, um amerikanische Gesetze und um die Genfer Konvention herumzukommen, welche Kriegsgefangene vor Folter schützt, (…) führte zum Image-Gau für Amerika in weiten Teilen der Welt. Sollen die amerikanischen Ideen von Freiheit und Demokratie sich doch noch durchsetzen, bleibt der Regierung Bush – als Anfang – nur dies: Sie unterstellt alle ihre Gefangenen den Gesetzen für amerikanische Bürger oder der Genfer Konvention.“

„Nepszabadsag“ (Budapest):
„Die Vereinigten Staaten, deren Außenministerium jedes Jahr einen Bericht herausgibt, in dem Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern aufgezählt werden, haben das moralische Recht verloren, andere zu beurteilen. (…) Das ist nicht nur für Amerika oder für die Soldaten der internationalen Koalition (im Irak) eine schlechte Nachricht, sondern für jeden, der an Freiheit und Demokratie glaubt. (…) Man kann das Geschehene nicht dadurch vergessen machen, dass den Opfern Wiedergutmachung bezahlt wird, so wie Verteidigungsminister Rumsfeld das vorgeschlagen hat. (…) Nicht einmal Rumsfelds Rücktritt und die Zerstörung des Gefängnisses Abu Ghraib würden ausreichen.“

„Berlingske Tidende“ (Kopenhagen):
„Es gibt mehrere Gründe dafür, dass die zweifellos schreckliche Geschichte nicht direkt zum Rücktritt von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld führen muss. Zunächst spricht vorläufig nichts dafür, dass es sich um die systematische Misshandlung von irakischen Gefangenen in amerikanischem Gewahrsam geht. Nach dem, was wir im Augenblick wissen, ist in einem bestimmten Gefängnis etwas schrecklich schief gelaufen. Das ist schlimm genug. Die Verantwortlichen müssen gefunden und bestraft werden. Die Bush-Administration hat das angekündigt. Man wird die amerikanische Regierung daran messen, ob das auch wirklich geschieht.“

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