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Pressestimmen zu deutschen Landtagswahlen

Die internationale Presse sieht in der Wahlniederlage und den Stimmverlusten der CDU bereits die "Merkeldämmerung" heraufziehen.

Internationale Pressestimmen

“Neue Zürcher Zeitung” (NZZ):

“Man hatte wohl damit rechnen müssen, dass die Folgen der Reaktor-Havarie in Japan wie ein Tsunami über die Meinungslandschaft im hoch industrialisierten deutschen Bundesland Baden-Württemberg hinwegbrausen würden. Zwar hatten die Fundamente der bürgerlichen Politik durch die Auseinandersetzungen um das Bahnhof-Projekt ‘Stuttgart 21’ schon einige Risse erhalten, aber dies allein erklärt nie und nimmer die jetzt erlittenen Verluste. Es ist die Kernkraft-Debatte, die den Wechsel zu Grün und Rot herbeigeführt hat. Sie wurde weitgehend vom Wunsch nach einem möglichst sofortigen Ausstieg aus der seit Jahrzehnten in Deutschland umstrittenen Energieform angezeigt. Dieser Ausstieg ist nun wesentlich wahrscheinlicher geworden.”

“Basler Zeitung”:

“Die Zeitenwende in Stuttgart wird unseren nördlichen Nachbarn bleibend verändern. (…) Der Wahlausgang weckt Erinnerungen an das Jahr 2005, als die Sozialdemokraten das mächtige Bundesland Nordrhein-Westfalen an die bürgerliche Konkurrenz verloren und dies in Berlin den Anfang vom Ende der rot-grünen Regierung von Kanzler Schröder (SPD) einläutete. Doch so sehr Merkel durch Mappus’ Abwahl geschwächt und ihre Atompolitik als unglaubwürdig entlarvt wurde – ihre aktuelle Lage ist nicht mit 2005 vergleichbar. Denn Merkel hat ihre Partei weiter hinter sich. Anders Guido Westerwelle. Irgendjemand wird bei der FDP die Verantwortung übernehmen müssen für die peinliche Performance der Partei.”

“Corriere della Sera” (Mailand):

“Nach dem Desaster von Fukushima hatte Angela Merkel in den vergangenen Tagen entschieden, die deutsche Atompolitik zu ändern. Im Oktober hatte sie noch beschlossen, die Laufzeit der 17 Atommeiler zu verlängern, vor einer Woche hat sie unvermittelt ihre Meinung geändert. Die Wähler jedoch haben ihr nicht geglaubt. Anstelle der Kehrtwendung in letzter Minute haben sie sich für die Partei entschieden, die seit jeher ‘anti-atom’ ist. Eine politische Lektion für alle: Kehrtwendungen nur eine Woche vor wichtigen Wahlen machen die heute immer besser informierten Bürger skeptisch. Sie wollen sich lieber selbst aktiv an den wichtigen Entscheidungen für das Land beteiligen.”

“La Repubblica” (Rom):

“Europa, das Angela Merkel als Anführerin ertragen hat, ohne sie jemals dazu ernannt zu haben, hat sie bereits durchfallen lassen. Nun hat die Bundeskanzlerin auch in Deutschland eine lautstarke und spektakuläre Niederlage erlitten. Die Botschaft, die Merkel aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz entgegenschallt, ist eindeutig: Man kann ein großes Land nicht regieren immer auf der Spur der letzten Umfrage, geleitet von Ängsten, ohne Mut zu Entscheidungen.”

“El Mundo” (Madrid):

“Angela Merkel muss ihre wahltaktisch motivierten Schwenks teuer bezahlen. Die Niederlage der CDU in Baden-Württemberg bedeutet einen schweren Rückschlag für die Kanzlerin. Vor sechs Monaten hatte Merkel zugestimmt, die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern. Nach der Katastrophe in Fukushima leitete sie einen Prozess eines ‘kontrollierten Ausstiegs’ ein. Die öffentliche Meinung in Deutschland ist mehrheitlich gegen die Kernenergie. Die Wähler sahen in Merkels Schwenk eine Finte, die sie nicht durchgehen ließen. Schon vor einem Jahr hatte die Kanzlerin ein Rettungspaket für Griechenland hinausgezögert, um Stimmverluste für die CDU in Nordrhein-Westfalen zu verhindern.”

“de Volkskrant” (Amsterdam):

“Die Wahlen im dem wichtigen Bundesland Baden-Württemberg wurden zu einer Stellungnahme gegen die nationale Atompolitik. Die Regierung aus Christdemokraten und Liberalen – Verteidiger der Kernenergie – hat verloren. Die Grünen sind die großen Gewinner. Merkel verliert einen der wichtigsten regionalen Stützpfeiler ihrer Regierung… Die Wende in Baden-Württemberg deutet auch auf tiefer liegende Veränderungen in Deutschland hin. Das Bundesland ist für seinen hohen Anteil eher konservativer Mittelstandsbürger bekannt. Und ausgerechnet hier ändert der deutsche Wähler nun sein traditionelles Abstimmungsverhalten.”

Deutsche Pressestimmen

“Frankfurter Allgemeine Zeitung” (FAZ):

“Der Sturz ist tief: Baden-Württemberg, von CDU und FDP gleichermaßen als ‘Stammland’ in Anspruch genommen, hat die beiden traditionellen Regierungsparteien in die Opposition verwiesen. Das ist ein Schock, der mit der Abwahl der SPD in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2005 oder mit dem Verlust der absoluten Mehrheit für die CSU in Bayern bei der letzten Landtagswahl zu vergleichen ist. Die Ausläufer dieser Erschütterung werden auch die Berliner Koalition durcheinanderbringen – das gilt vor allem für die anhaltende Schwäche der FDP, die weder in Stuttgart noch im Bund überzeugendes Regierungspersonal vorzuzeigen hat(te).”

“Die Welt” (Berlin):

“Es wäre zu kurz gegriffen, den schwarz-gelben Machtverlust nur einem unglücklichen, aus der Zeit gefallenen Ministerpräsidenten (Baden-Württembergs Stefan Mappus, Anm.), aktuellen Großereignissen und dem verkorksten Agieren der Bundesregierung anzulasten. Das alles hat nur beschleunigt, was ohnehin auf dem Weg war. (…) Das industrielle Erfolgsmodell des Landes, das ja noch immer floriert, hat seine in sich ruhende Selbstverständlichkeit verloren. Die eigentümliche Landesmischung aus Konservatismus und Fortschrittsfreudigkeit muss sich neu beweisen. Da versagt einer, der Politik im Eichenschrankstil betreibt und fast komisch wirkt, wenn er sich notgedrungen im Diskurs übt. So gesehen ist der Regierungswechsel, der nun bevorsteht, nur folgerichtig. Soll der grün-rote Erfolg nicht schnell verblühen, erfordert er eine hohe Regierungskunst.”

“Süddeutsche Zeitung” (München):

“Das Wahlergebnis ist spektakulär, weil es auch die Folge eines fernen Bebens ist, ein Niederschlag der japanischen Atomkatastrophe, ein Fallout. Aber: Machtverschiebung und Machtwechsel gehören zur demokratischen Normalität. Die Pointe der Demokratie ist die Herrschaft auf Zeit. Manchmal freilich dauert das Warten auf die Pointe lange. In Baden-Württemberg hat sie besonders lange gedauert. Dafür fällt die Pointe nun besonders gepfeffert aus; der Pfeffer ist grün. Die CDU verliert ihr Kernland Baden-Württemberg. Das ist ein kleiner deutscher Machtwechsel. (…) Beide Landtagswahlen, in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg, haben die Grünen gestärkt – in einer Weise, die, hätte man sie vor einem Jahr vorhergesagt, als Witz aufgefasst worden wäre. Die Grünen erleben einen der großen Wahlerfolge in der Geschichte der Bundesrepublik. (…) Das Entsetzen über die Atom-Katastrophe in Japan hat die Wahl mitentschieden. Das ferne Unglück ist ein hautnahes Unglück geworden; es hat denen recht gegeben, die schon immer vor der Atomtechnik gewarnt haben.”

“Westdeutsche Zeitung” (Düsseldorf):

“Bis nach diesen Wahlen in den beiden Bundesländern wieder der politische Alltag einkehrt, wird es noch einige Zeit dauern. Vor allem werden sie das politische Berlin kräftig durchrütteln, bis hin zu personellen Konsequenzen, die speziell bei der FDP relativ bald möglich sind. (FDP-Chef Außenminister) Guido Westerwelle ist schon lange angeschlagen. Rainer Brüderle, der sich in den vergangenen Wochen als Wirtschaftsminister profilieren konnte, steht wegen seiner angeblichen Äußerung zur taktisch motivierten Atom-Abschaltung ebenfalls schlecht da. Während es die FDP also durchschütteln könnte, wird sich wohl bei der CDU wenig ändern. Wahrscheinlich versucht Angela Merkel ihren Kurs bis zur nächsten Bundestagswahl zu halten. Und dann darauf hoffen, dass der gestrige Sonntag nur eine Momentaufnahme war…”

“die tageszeitung” (taz) (Berlin):

“Das ist eine Revolution, die im ganzen Land ihren Widerhall finden wird. Die Grünen sind die großen Gewinner dieses Wahlsonntags. Selten kam einer Landtagswahl so viel bundesweite Bedeutung zu wie dieser in Baden-Württemberg. Für das Desaster der CDU wird die Chefin Angela Merkel von ihrer Partei in die Pflicht genommen werden. Zwar wird sie allein aus Mangel an Alternativen im Amt bleiben. Aber der Richtungsstreit ist programmiert. Der konservative Flügel bangt ums Überleben. Das wird die Modernisiererin deutlich zu spüren bekommen. Auch die FDP wird so nicht weitermachen. Entsprechend droht dem gesamten schwarz-gelben Regierungsprojekt ein vorzeitiges Ende.”

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