Pragmatischer Bürgerschreck wird Präsident
Der 75-Jährige wirkt auf den ersten Blick bisweilen wie ein schrulliger Rentner. Doch wenn Mujica den Mund aufmacht, achtet kaum noch jemand auf sein Äußeres, denn seine offene und schroffe Sprache und blitzschnelle Analyse triumphieren über den ersten Eindruck. Mujica geht seine Gegner meist scharfzüngig an und nimmt wenig Rücksicht darauf, was die Menschen von ihm vielleicht erwarten.
Mit seiner Frau Lucía Topolansky, auch Ex-Guerillera und heutige Abgeordnete, lebt Mujica in einem windschiefen Häuschen in der Nähe von Montevideo. Im Wohnzimmer riecht es nach Eintopf, als Mobiliar reichen ein paar wackelige Stühle und durchhängende Bücherborde.
Die Militärs hielten Mujica schon vor ihrem Putsch und bis zum Ende des Regimes (1973-1985) insgesamt 15 Jahre in Haft, davon fast 13 Jahre unter grausigen Bedingungen in Einzelhaft. Heute verleiht ihm dieses Martyrium eine Glaubwürdigkeit, von der viele Politiker nur träumen können. “Fast verleiht ihm diese Geschichte einen Art Heiligenschein”, versucht der Meinungsforscher Juan Carlos Doyenart das Phänomen zu erklären.
José Alberto Mujica Cordano wurde am 20. Mai 1935 in Montevideo geboren. Schon seine Eltern betrieben die Blumenzucht, die Mujica übernahm. In den 1960er Jahren schloss er sich der Guerilla-Gruppe Tupamaros an und beteiligte sich an Überfällen, Entführungen und Bankrauben. Nach der Militärdiktatur schwor Mujica dem bewaffneten Kampf ab und begann den langen Marsch durch die Institutionen, der auch ihn selbst stark veränderte. 2004 kam die FA am Ziel an und gewann die Präsidentenwahl. Erstmals seit 150 Jahren waren die konservativen Kräfte von der Macht verdrängt. “Mujica bricht die Regeln der Form, aber nicht die des Systems”, sagt Doyenart.