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Polizei-Trinkgeld-Affäre: 400.000 Euro für die "Kaffeekassa"

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Die Wiener Wochenzeitung Falter veröffentlichte am Mittwoch den nächsten Fall aus der Weisungsabteilung des Justizministeriums. Konkret geht es um die eingestellten Ermittlungen gegen 696 Polizisten, die von Schwertransport-Firmen Trinkgelder in der Höhe von rund 400.000 Euro entgegennahmen. Der Fall wurde bekanntlich mit der Begründung eingestellt, es handle sich nur um geringfügige Zuwendungen in die Kaffeekassa der Exekutive.

Die Akten der Weisungsabteilung offenbaren eine völlig neue Dimension des Falles. Denn das Trinkgeld, so geht aus den Akten hervor, wurde von einer kleinen Gruppe von Beamten aktiv eingefordert. Wer nicht bezahlte, so klagten Frächter, sei massiv schikaniert worden. Ein Beamter forderte laut Protokoll von einem Unternehmer etwa 70 Euro mit den Worten: “Heast, wia san oba scho zwa, ihr wollts ja foan a”. Mehrer Schwertransport-Begleiter schilderten vor den Korruptionsbehörden regelrechte Erpressung. Wer nicht zahlte, musste mit geringerer Geschwindigkeit fahren oder stundenlange und kostspielige Kontrollen in Kauf nehmen. Manche Beamte “verdienten” laut Justizministerium bis zu 1000 Euro monatlich.

Die Weisungsabteilung vermerkt dazu: “Zum Verdacht der Erpressung hinsichtlich des Polizisten Josef G. ist zu ergänzen, dass dessen angebliche Äußerungen “Heast mia san oba scho zwa” bzw. “Ihr wollts jo a foan” zwar einen gewissen Druck zur Leistung weiterer Zahlungen ausgeübt haben können, jedoch bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Beweisergebnisse noch nicht als Drohung mit einer Verletzung am Vermögen zu subsumieren sind.” Den Beamten habe der “subjektive Vorsatz” gefehlt. Denn: “Es ist zu bemerken, dass die überwiegende Mehrheit der Transportunternehmer und LKW-Lenker aufgrund der bereits 30 Jahre bestehenden Übung gar nicht den Versuch unternahmen, einmal nicht zu zahlen”.

Es wurden nicht nur Gelder bezahlt, sondern Beamte sollen auch mit Reisen, Elektrogeräten und sogar Bordellbesuchen bestochen worden sein.

Besonders verstörend ist der Fall jenes Transportunternehmers, der den Fall ins Rollen brachte. Der Unternehmer wandte sich an den damaligen ÖVP-Innenminister Ernst Strasser und schlug diesem eine Privatisierung des Transportbegleitungsgeschäftes vor. Dann, so gab der Unternehmer zu Protokoll, habe die Verkehrsabteilung Niederösterreich ein “regelrechtes Kesseltreiben” gegen ihn eingeleitet. Durch eine Privatisierung hätte die Polizei ihren Anspruch auf Trinkgelder verloren. Der Unternehmer, so schildert es ein involvierter BIA-Beamter, sei “beinahe in den Selbstmord getrieben worden.” Strasser nahm sich des Unternehmers an und alarmierte das BIA.

In den vertraulichen Vorhabensberichten ans Justizministerium hält die Staatsanwaltschaft fest, dass es “zwar durchaus sein kann, dass das Engagement der Polizei auf einem Rachegefühl gegenüber dem Transportunternehmer basiert habe”, doch die Beamten hätten bei ihren Amtshandlungen formal korrekt gehandelt.

“Die Staatsanwälte hatten Angst, dass wir bei einem Prozess im Korruptionsindex hinter Pakistan zurückfallen”, soll ein Ministerialbeamter heute zum Falter gesagt haben, teilte die Wochenzeitung in einer Aussendung mit.

In einer heutigen Stellungnahme des Justizministeriums heißt es dazu (im Wortlaut):

“Im September 2005 übermittelte das BIA dem Justizministerium weitere Erhebungsergebnisse, die eine teilweise Fortsetzung der Ermittlungen gegen einen erheblich kleineren Kreis von neun Beschuldigten wegen des Verdachtes der Geschenkannahme und des Amtsmissbrauchs zur Folge hatten. So wurde ua. von Fahrern als Motiv für die Zahlungen angegeben, dass einige dieser Beamten bei Nichtzahlung schikanös kontrolliert, Geld gefordert oder Drohungen ausgesprochen hätten. Vorfälle dieser Art konnten – auch auf Grund vager Aussagen – nicht nachwiesen werden. Daher wurde das Vorhaben der Staatsanwaltschaft, das Verfahren einzustellen, von der zuständigen Oberstaatsanwaltschaft gebilligt und vom Justizministerium im April 2008 genehmigt.

Folgende Einstellungsgründe waren im vorliegenden Fall ausschlaggebend:
– Geringfügigkeit der Beträge: Da großteils Trinkgelder in Höhe von 7 bis 10 Euro angenommen worden sein sollen, wurde die damals im Gesetz vorgesehene Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten (nach der Rechtsprechung Beträge unter 100 Euro; die einzelnen Beträge können nur dann zusammengerechnet werden, wenn sie von demselben Geber aus demselben Anlass stammen und er von vornherein den Vorsatz hat, die gesamte Summe zu zahlen. Darauf gab es keinen Hinweis).
– Kein Nachweis der Gewerbsmäßigkeit: Gewerbsmäßiges Handeln setzt voraus, dass Beamte Trinkgelder in der Absicht annehmen, für sich persönlich durch wiederkehrende Begehung einen finanziellen Vorteil zu ziehen. Dieser Vorteil darf im Verhältnis zum sonstigen im angeblichen Tatzeitraum erzielten Einkommen nicht unbedeutend sein.
– Verjährung: zum Zeitpunkt der Beurteilung durch die Staatsanwaltschaften war die mögliche Strafbarkeit des Verhaltens der Beamten teilweise bereits verjährt

Die Zuständigkeit der Justiz bezieht sich nur auf den strafrechtlichen Aspekt, nicht jedoch auf mögliche dienstrechtliche Konsequenzen für Polizei- und Gendarmeriebeamte.”

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