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Politische Eiszeit am Ärmelkanal

Es wirkte wie ein Symbol: Der Orkan vom Wochenende brachte den Zugverkehr zwischen Paris und London zum Erliegen. Doch nicht nur dieser stand still.

Auch die politischen Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien sind nach dem stürmischen Zusammenstoß von Jacques Chirac und Tony Blair auf dem Brüsseler EU-Gipfel so weit abgekühlt, dass der französische Präsident ein für Anfang Dezember geplantes Spitzentreffen absagte.

In dem Streit geht es um mehr als die verletzte Eitelkeit des britischen Premiers, der sich in Brüssel von der überraschenden Einigung Chiracs mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder über die Agrarpolitik überrumpelt fühlte. London dringt seit langem auf eine Reform der EU-Landwirtschaftssubventionen, von denen vor allem französische Bauern profitieren.

Der Konservative Chirac ärgerte den Linken Blair kurz vor dem Gipfel letzte Woche noch einmal, als er öffentlich den so genannten Briten-Rabatt in Frage stellte. Dieses Relikt aus Zeiten der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher gewährt den Briten einen Nachlass bei ihren Zahlungen an Brüssel. Auf dem Gipfel platzte dem gereizten Blair dann offenbar der Kragen. Chirac ließ sich nicht lumpen und warf dem Regierungschef laut Medienberichten schlechte Erziehung vor. Noch nie habe ihn jemand so behandelt, soll der fast 70-jährige Staatschef getobt haben.

Es habe sich einiges angestaut, hieß es in Paris. Seit Wochen beharken sich die EU-Partner im Weltsicherheitsrat. Großbritannien setzt sich als traditionell engster Verbündeter der USA für eine harte Resolution ein, Frankreich bremst bisher erfolgreich. Das sei der zweite wesentliche Grund für die derzeitige Eiszeit am Ärmelkanal, sagte Christian Lesquesne vom Forschungsinstitut CERI im Radio „France Info“. Es sei zu befürchten, dass sich hinter den diplomatischen Scharmützeln, die es zwischen Paris und London immer gegeben habe, tiefgehende Differenzen auftäten, schrieb „Le Figaro“. Frankreich betrachte die atlantischen Positionen Londons mit Misstrauen.

Das offizielle Paris bemühte sich jedenfalls, den Streit herunterzuspielen. Es gebe gar kein Zerwürfnis, versicherte Regierungssprecher Jean-Francois Cope. Der Gipfel sei verschoben worden, damit er besser vorbereitet werden könne, und solle nun Anfang nächsten Jahres stattfinden.

Der konservative „Figaro“ verwies darauf, Paris und London hätten im Gegensatz zum deutsch-französischen Verhältnis ihre Unstimmigkeiten immer offen gezeigt, um sie dann besser überwinden zu können. Auch zwischen Francois Mitterrand und Maggie Thatcher habe die Chemie nicht gestimmt. Und doch hätten sie das historische Projekt des Tunnels unter dem Ärmelkanal auf den Weg gebracht.

Unterdessen zeigte sich die französische Bahngesellschaft SNCF am Mittwoch zuversichtlich, die technischen Probleme bei den Eurostar-Zügen bis Donnerstag beheben und damit die französisch-britischen Beziehungen zumindest auf der Schiene wieder normalisieren zu können.

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