Politiker zwischen Staatsräson und Polemik
Der Politiker, Jurist und Professor für Verfassungsrecht und Politologie galt, ebenso wie sein langjähriger Parteifreund Giulio Andreotti, jahrzehntelang als Vollblutpolitiker und Machtmensch schlechthin.
Mit nur 17 Jahren trat er der Democrazia Cristiana (DC) bei. 1958, gerade einmal 30 Jahre alt, wurde er zum ersten Mal Abgeordneter, 1966 war er erstmals Mitglied der Regierung, 1974 wurde er Innenminister, 1979 sogar Ministerpräsident. 1985 wurde er im Alter von 57 Jahren jüngster Staatspräsident Italiens als Nachfolger des Sozialisten Sandro Pertini. Nach seiner siebenjährigen Amtszeit blieb er als Senator auf Lebenszeit dem Parlament erhalten.
Cossiga war gerade einflussreicher und bei der Linken besonders verhasster Innenminister, als ein großes persönliches Drama seine politische Laufbahn zu beenden drohte: Im März 1978 entführten die “Roten Brigaden” (BR) seinen Freund Aldo Moro, den Vorsitzenden der Democrazia Cristiana. Angesichts der Unfähigkeit der Sicherheitskräfte, Moro zu befreien, trat er unmittelbar nach der Tragödie von seinem Amt zurück. Ihm wurde immer wieder in den “Bleiernen Jahren” – aber auch heute noch – das problematische Verhältnis der Christdemokraten zur Linken angelastet. Er lehnte damals auch kaum überraschend jede Verhandlung mit den BR-Terroristen ab.
Von 1979 bis 1980 war Cossiga Ministerpräsident, trat aber infolge politischer Querelen unerwartet von diesem Posten zurück. In der Öffentlichkeit wurde es ihm hoch angerechnet, dass er als einer der wenigen italienischen Politiker dazu fähig war, auf Macht zu verzichten, wenn es sein musste. Zu Beginn der 80er Jahre war er auch einflussreicher Vorsitzender des Senats, der zweiten Kammer des Parlaments.
Als er am 3. Juli 1985 das Amt des Präsidenten der Republik antrat, galt er zunächst als ruhiger und besonnener, zur kritischen Analyse fähiger Politiker. Der Wandel Cossigas begann nach vier eintönigen Jahren mit einer Auseinandersetzung mit dem Obersten Rat der Richter. Nach und nach wurde der “Quirinal”, der Sitz des Präsidenten der Republik auf einem der Hügel Roms, zu einem Epizentrum heftiger Polemik gegen eine verkrustete politische Welt, die Cossiga nur allzu gut kannte. Prinzipiell regte er eine Umwandlung Italiens von einer parlamentarischen in eine präsidiale Demokratie an.
Der Präsident griff oft zu unorthodoxen Maßnahmen, um Gehör zu finden: So zögerte er nicht, die Geheimloge P2 von Freimaurerchef Licio Gelli, die Mitglieder des Geheimbundes “Gladio” oder einen Richter zu loben, der unzählige Prozesse gegen die Mafia eingestellt hatte. Die Presse machte sich daraufhin Sorgen um den Geisteszustand des Staatsoberhauptes, während der Präsident sich wiederum fragte, wie es um die Demokratie in Italien bestellt sei.
Nach dem Ende seiner Amtszeit im Quirinal wurde es zunächst ruhiger um Cossiga, doch 1998 meldete er sich mit Getöse zurück. Nachdem sich die Democarzia Cristiana nach den Korruptionsskandalen zu Beginn der 90er Jahre auflöste und ihre Überbleibsel sowohl rechts als auch links der politischen Mitte untergekommen waren, gründete Cossiga 1998 die UDR (“Unione Democratica per la Repubblica”) mit dem Ziel, das Zentrum zu stärken und seinen ehemaligen Parteifreunden wieder eine Heimat zu geben.
Bis zuletzt saß er im Parlament, da er als Ex-Präsident Recht auf einen Sitz als Senator auf Lebenszeit hatte. Ein Thema mit hohem Konfliktpotenzial war für Cossiga stets Südtirol. Zuletzt brachte er 2006 und auch 2008 einen Gesetzesantrag ein, mit dem erreicht werden sollte, dass die Südtiroler in einer Volksabstimmung entscheiden, ob sie einen eigenen Staat bilden, an Österreich oder Deutschland angegliedert werden oder bei Italien bleiben. Damit wollte er nach eigenen Worten sagen, dass es in Südtirol eine “besondere ethnische Situation” gebe und diese anerkannt werden müsse. Er sei immer “ein Freund Südtirols” gewesen und habe immer gewusst, dass ein solcher Antrag im Parlament keinerlei Chance habe. Einen Streit mit der Südtiroler Landesregierung brach er damit dennoch vom Zaun.
2005 ließ Cossiga mit seiner umstrittenen Meinung zur österreichischen Identität aufhorchen: Für ihn gebe es keine österreichische Nation. Die Südtiroler seien daher “Deutsche”. Cossiga damals in einem Interview mit dem Magazin “FF”: “In diesem Punkt hatte Hitler Recht. Die österreichische Nation gibt es nicht. Oder gibt es etwa eine österreichische Musik, eine österreichische Literatur?” Österreich gebe es als Staat, nicht aber als Nation. Die österreichische Nation sei “eine Erfindung der Austrofaschisten von (Engelbert) Dollfuß. Karl Renner, der große Sozialist und später erster österreichischer Bundespräsident (der Zweiten Republik, Anm.), hatte für den Anschluss gestimmt”.