Polen: Autor Stanislaw Lem gestorben
Lange schon hat der polnische Schriftsteller Stanislaw Lem keinen Roman mehr verfasst, doch sein Ruf als Klassiker der Science-Fiction blieb davon unangetastet. Am 12. September wäre der Autor 85 Jahre alt geworden, doch die Zukunft hatte Lems Visionen längst eingeholt. Vieles, was der Solaris-Autor in seinen Werken seit den 50er Jahren angedacht hatte, war Wirklichkeit geworden, vom Internet über die Genforschung bis hin zur künstlichen Intelligenz.
Eigentlich sollte der im damals ostpolnischen, heute ukrainischen Lwow (Lemberg) geborene Lem die Familientradition fortsetzen und Arzt werden. Sein Medizinstudium wurde jedoch vom Zweiten Weltkrieg unterbrochen, als die Nazis nach dem Einfall in Polen die Hochschulen schlossen. Lem, der mit gefälschten Papieren seine jüdische Herkunft verschleiern konnte, schlug sich als Automechaniker durch. Nach dem Krieg nahm er das Medizinstudium zwar wieder auf und arbeitete auch für kurze Zeit als Arzt, doch schon seit Beginn der 50er Jahre war Lem freier Schriftsteller.
Er wandte sich früh dem Genre Science-Fiction zu, schrieb aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Bekannt geworden ist Lem vor allem durch seine Sterntagebücher und die Robotermärchen sowie den Roman Solaris. Außerhalb Polens gilt Lem auch als Philosoph und Zukunftsvisionär, in seiner Heimat schätzten die Leser jedoch besonders den zuweilen grotesken Humor, der vor allem in den frühen Werken eine Flucht vor der Realität darstellte. Die meisten meiner Bücher wurden während des Kommunismus geschrieben, und ich musste mich mit der Zensur auseinander setzen, sagte Lem einmal. Er habe versucht, die Absurdität von Totalitarismen darzustellen.
Das ist der Grund dafür, dass meine Helden auf dem Weg zur Verbesserung der Welt oft versagen, erläuterte Lem. Dennoch habe in seinen frühen Werken der optimistische Glaube an die Fähigkeiten des Menschen dominiert. Bald war an die Stelle des einstigen Fortschrittglaubens aber Skepsis getreten: Ich habe nicht vorhergesehen, dass die Wissenschaft fast vollständig dem Kommerz untergeordnet wird, räumte Lem einmal ein. Die meisten Gelehrten arbeiteten nicht aus dem Gefühl der Berufung heraus, sondern mit dem Ziel des Nobelpreises, und am besten würden Forschungen zu neuen Waffen bezahlt.
Der Mensch ist ein Affe, dem es gelingt, das schärfste Rasiermesser zu schaffen, um einem anderen Affen die Kehle durchzuschneiden, zog der Autor, der zeitweise in Wien lebte und erst 1988 nach Polen zurück kehrte, Bilanz. Er zählt heute zu den erfolgreichsten und meist übersetzten Autoren Polens, seine Werke wurden zahlreich verfilmt. Von seinem Meisterwerk Solaris gibt es durch den russischen Regisseur Andrej Tarkowskij 1972 und 2003 durch den US-Filmemacher Steven Soderbergh sogar zwei Leinwandversionen. Lem, der seit 1953 mit Barbara Lesniak verheiratet war und einen Sohn hatte, erhielt unzählige Preise, auch österreichische: Neben dem Franz-Kafka-Literaturpreis 1991 wurde er u.a. 1985 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet.