AA

Peres fordert Bestrafung von NS-Verbrechern

Der israelische Präsident Shimon Peres hat Deutschland und die Welt am Holocaust-Gedenktag aufgefordert, noch lebende NS-Verbrecher vor Gericht zu stellen. "Ich bitte Sie, tun Sie alles, um diesen Verbrechern ihre gerechte Strafe zu erteilen", sagte er.
65 Jahre nach Auschwitz
Der Friedensnobelpreisträger sprach am Mittwoch in Berlin in einer Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus vor Abgeordneten und den Spitzen des Staates. Der polnische Historiker Feliks Tych forderte eine Aufarbeitung der “Komplizenschaft” der einheimischen Bevölkerung in vielen europäischen Ländern beim Massenmord an den Juden, den die Nationalsozialisten organisiert hatten.

Der 86-jährige Peres sagte, überall auf der Welt gebe es immer weniger Überlebende des Holocausts. “Ihre Zahl nimmt täglich ab. Und gleichzeitig leben auf deutschem Boden, in Europa und anderswo auf der Welt noch immer Menschen, die damals dieses schrecklichste Ziel verfolgten: den Völkermord.” Bei der Forderung nach Strafverfolgung gehe es nicht um Rache. “Es geht um Erziehung”, sagte Peres vor allem im Hinblick auf die junge Generation. “Die Jugend muss sich erinnern, darf nicht vergessen und muss wissen, was geschehen ist.”

Im Atomstreit mit dem Iran rief Peres die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. Israel lehne “ein fanatisches Regime ab, das die Charta der Vereinten Nationen missachtet”. Ein Regime, das Atomkraftwerke und Nuklearraketen besitze, mit denen es sein eigenes Land und andere Länder terrorisiere, “ist eine Gefahr für die Welt”. Eine Lehre aus dem millionenfachen Mord der Nazis an den Juden müsse sein: “Nie wieder dürfen blutrünstige Diktatoren ignoriert werden, die sich hinter demagogischen Masken verbergen und mörderische Parolen von sich geben.”

Bundestags-Präsident Norbert Lammert sicherte Israel die Unterstützung der Bundesrepublik zu: “Wir Deutschen tragen eine Mitverantwortung für den Staat Israel.” Wo dessen Existenzrecht und dessen Sicherheit bedroht sei, “gibt es für uns Deutsche keine Neutralität”. Im Hinblick auf den Iran sagte Lammert, ein atomar bewaffneter Staat in Israels Nachbarschaft, “geführt von einem offen antisemitisch organisierten Regime”, sei nicht nur für Israel unerträglich. “Die Weltgemeinschaft darf eine solche Bedrohung nicht dulden.”

Peres und Lammert würdigten die Besonderheit der deutsch-israelischen Beziehungen. “Zwischen Deutschland und Israel hat sich seither eine einzigartige Freundschaft entwickelt”, sagte Peres in Erinnerung an den Holocaust und die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Jänner 1945 durch sowjetische Truppen. Im Angesicht dieser Gräuel gelte es “unseren Blick nach vorne zu richten – zum Horizont der Hoffnung und in eine bessere Welt”. Lammert sagte, die deutsch-israelischen Beziehungen seien “in der Tat keine normalen Beziehungen, weil das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel nie normal war, und deshalb auch nicht normal werden muss oder soll”.

Peres war der erste israelische Präsident, der am Holocaust-Gedenktag im Bundestag sprach. Unter den sechs Millionen Juden, die dem Völkermord der Nationalsozialisten zum Opfer fielen, waren auch seine Großeltern und weitere Verwandte. Der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wurde von den Vereinten Nationen zum internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt. Peres war nach Ezer Weizman (1996) und Moshe Katzav (2005) der dritte israelische Präsident, der vor dem deutschen Parlament sprach.

Tych, der zwischen 1995 und 2007 Direktor des Jüdischen Historischen Instituts Warschau war, schilderte seine Erfahrungen als Zeitzeuge und Historiker. Er sprach von einer “europäischen Komplizenschaft beim deutschen Staatsverbrechen” der Nazis. Die Aufarbeitung des Holocaust bleibe solange unvollständig und verzerrt, solange dies “nicht Bestandteil des europäischen historischen Bewusstseins wird”.

Es sei längst kein Geheimnis mehr, dass fast in jedem europäischen Land, in dem die Nazis ihr Projekt zur Ausrottung der Juden verwirklichten, ein Teil der einheimischen Bevölkerung als Täter, “den Tätern geneigte Zuschauer” oder als Profiteure in den Völkermord verwickelt gewesen seien. Es habe Gleichgültigkeit und “Sünden der Unterlassung” gegeben. Lange sei diese “Komplizenschaft” mit den Besatzern “freiwillig tabuisiert oder marginalisiert” worden.

Mit einer internationalen Holocaust-Konferenz begannen unterdessen im polnischen Oswiecim die Gedenkfeierlichkeiten zum 65. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Bildungsminister und Regierungsvertreter aus 35 Staaten berieten über neue Konzepte für den Holocaust-Unterricht angesichts von immer weniger überlebenden Zeitzeugen.

Die Hauptgedenkveranstaltung sollte am Nachmittag auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau stattfinden. Daran nehmen der polnische Präsident Lech Kaczynski sowie die Ministerpräsidenten von Polen und Israel, Donald Tusk und Benjamin Netanyahu, teil. Österreich ist durch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (S) vertreten. Zudem wollen rund 150 KZ-Überlebende zu den Feierlichkeiten erwartet.

In Auschwitz und dem später im benachbarten Birkenau errichteten Vernichtungslager ermordeten die Nationalsozialisten mehr als 1,1 Millionen Menschen. Die meisten Opfer waren europäische Juden.

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Peres fordert Bestrafung von NS-Verbrechern
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen