Doch als Nachfolger des charismatischen Ignatz Bubis stand er auch für eine neue Zeit, in die der Staatsvertrag zwischen Bundesrepublik und Zentralrat, die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter und die Eröffnung des Holocaust-Denkmals in Berlin fallen.
Angesichts zunehmender rechtsextremer Gewalttaten in Deutschland ermahnte der gebürtige Westfale und gelernte Journalist seine Landsleute immer wieder, Anzeichen von Judenfeindlichkeit entschlossen entgegenzutreten und nicht mit Gleichgültigkeit zu reagieren. Er forderte deutliche Signale dafür, dass heute Juden in Deutschland willkommen sind.
Paul Spiegel wurde am 31. Dezember 1937 in Warendorf im Münsterland in eine bürgerliche Familie geboren. 1939 floh die Familie vor dem Nazi-Terror nach Brüssel. Spiegel wurde von einer katholischen Bauernfamilie in Flandern versteckt. Sein Vater überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Auschwitz und Dachau. Die ältere Schwester Rosa wurde von Nazi-Häschern verschleppt, ihre Spur verliert sich im KZ Bergen-Belsen. Spiegel hat über die Geschehnisse in seinem Buch Wieder zu Hause? berichtet.
Mit seiner Mutter kehrte er nach Kriegsende nach Warendorf zurück. Nach dem Abitur lernte er bei der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung das journalistische Handwerk und arbeitete anschließend für verschiedene Medien. Von 1974 bis 1986 leitete er die Pressestelle des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes. 1986 machte er sich mit einer Künstleragentur selbstständig. Er vertrat Künstler wie Vicky Leandros und vermittelte auch Auftritte von Elder Statesmen wie den früheren Bundesministern Wolfgang Clement und Otto Schily.
Spiegel spielte jahrzehntelang eine führende Rolle im jüdischen Leben in Deutschland: Seit 1984 war er Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, er stand dem Verband der Jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen vor und war seit 1993 einer der Stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrates. Am 9. Jänner 2000 setze er sich in der Wahl zum Vorsitzenden gegen seine jetzige Stellvertreterin Charlotte Knobloch durch. Seitdem stand er an der Spitze der 80.000 Juden in Deutschland. Seine letzte Amtszeit wäre im Dezember ausgelaufen.
Als Präsident des Zentralrates kümmerte er sich um die Integration der immer zahlreicher zuwandernden Juden aus Osteuropa, und bot auch Aussiedlern, Flüchtlingen und anderen Minderheiten die Stimme des Zentralrates an. Im politischen Raum verschaffte sich Spiegel immer wieder Gehör und verurteilte antijüdische Tendenzen. Im Jänner 2002 nutzte er eine Rede im Bundestag anlässlich des Holocaust-Gedenktages, um vor einem fremdenfeindlichen Bundestagswahlkampf mit dem Thema Einwanderung zu warnen. Er protestierte laut gegen einen – später zurückgenommenen – Vergleich des Kölner Erzbischofs Joachim Meisner von Abtreibungen mit den Verbrechen Hitlers und Stalins.
In seine zweite Amtszeit seit Jänner 2003 fallen die Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen Deutschland und dem Zentralrates, mit dem der jüdischen Gemeinde eine jährliche Unterstützung von drei Millionen Euro zugesichert wird. 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Entschädigungszahlungen an Zwangsarbeiter der deutschen Industrie in Hitler-Deutschland weitgehend abgeschlossen und nach Jahre langen Planungen das Holocaust-Denkmal mitten in Berlin eröffnet.
Paul Spiegel, Träger zahlreicher Auszeichnungen, darunter des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, starb in der Nacht zum Sonntag in Düsseldorf nach einem langen Krankenhausaufenthalt an Krebs. Er hinterlässt seine Frau und zwei erwachsene Töchter.