AA

Papst nahm Erdogans Protest bewusst in Kauf, Vatikan will diesen nicht kommentieren

Papst Franziskus nennt das Massaker an den Armeniern den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts
Papst Franziskus nennt das Massaker an den Armeniern den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts ©AP
Diesmal war es keine spontane Äußerung des Papstes, kein unbedachtes Wort. Franziskus verlas am Sonntag einen vorbereiteten offiziellen Text, als er die Gräueltaten an den Armenien im Ersten Weltkrieg als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnete. Die schriftliche Fassung der Rede war zuvor vom Vatikan in mehreren Sprachen verbreitet worden.

Vatikanstadt. Den vorhersehbaren diplomatischen Eklat nahm Franziskus damit bewusst in Kauf, um der historischen Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Er hatte bereits im Juni 2013 den Zorn Ankaras zu spüren bekommen, als er in einem privaten Gespräch mit Nachfahren der Opfer vom “ersten Genozid des 20. Jahrhunderts” sprach. Schon damals hatte Ankara protestiert und den vatikanischen Botschafter ins Außenministerium zitiert.

 “Die Dinge in Freiheit beim Namen nennen”

 

Warum legt sich der Papst in einer geschichtspolitischen Debatte so ins Zeug? In seiner Begrüßung der Armenier machte er deutlich, dass für ihn sehr viel mehr auf dem Spiel steht: “Wo es keine Erinnerung gibt, hält das Böse die Wunde weiter offen”, sagte Franziskus. Und am Montag lieferte er, ohne das Wort “Armenier” auszusprechen, in seiner Morgenmesse noch eine Erklärung nach: Die Kirche müsse wie zur Zeit der Apostel auch heute “die Dinge in Freiheit beim Namen zu nennen”. Man dürfe nicht verschweigen, was man gesehen und gehört habe, forderte Franziskus.

 100. Jahrestag des Beginns der Massaker

Dass der Völkermord an den Armeniern eine so zentrale Rolle bei dem Gottesdienst spielen würde, hat der Vatikan allerdings selbst lange verschwiegen oder zumindest offengelassen. Vermutlich aus taktischen Gründen, um nicht zu viel Sand aufzuwirbeln und das Projekt nicht zu gefährden. Zunächst wurde vor einigen Monaten nur ein Gottesdienst mit Katholiken des armenischen Ritus im Petersdom angekündigt. Dass die Sache etwas mit den Gräueltaten an den Armeniern zu tun haben könnte, lag zwar nahe, weil am 24. April der 100. Jahrestag des Beginns der Massaker begangen wird, offiziell wurde es jedoch nicht als Grund angegeben. Vor einigen Wochen folgte dann die überraschende Mitteilung, dass der Papst den armenischen Mönch Gregor von Narek bei dieser Gelegenheit zum Kirchenlehrer erheben würde. Das gab der Messe zusätzliches Gewicht und ließ aufhorchen.

 Beförderung war ursprünglicher Messe-Anlass

In der Einladung für die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps wurde dem Vernehmen nach nur Gregors Erhebung zum Kirchenlehrer als Anlass für die Messe genannt. Das Gedenken an die Verfolgung der Armenier wurde in der Einladung nicht erwähnt. So erleichterte es der Vatikan vermutlich manchen Botschaftern, deren Länder es sich nicht mit der Türkei verscherzen wollen, die Teilnahme.

Begriff “Völkermord” nur vom Papst genannt

Erst in der kurz vor Beginn der Messe verschickten Mitteilung ließ das vatikanische Presseamt die Katze aus dem Sack: “Heilige Messe zum 100. Jahrestag des armenischen Martyriums mit dem Ritus der Erhebung des heiligen Gregors von Narek zum Kirchenlehrer”, lautete die umständliche offizielle Sprachregelung nun. Den Begriff “Völkermord” behielt man letztlich dem Papst vor.

Vatikan will Erdogans Kritik nicht kommentieren

Die Reaktionen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf die Aussagen des Papstes zu den Gräueltaten an den Armeniern im Osmanischen Reich will der Vatikan nicht kommentieren. “Wir nehmen die türkischen Reaktionen zur Kenntnis, wir wollen jedoch nicht polemisieren”, betonte der vatikanische Pressesprecher Federico Lombardi auf Anfrage von Journalisten am Mittwoch.

“Franziskus hat den Begriff Völkermord verwendet, wie es bereits Johannes Paul 2001 während einer Armenien-Reise in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche, Karekin II., getan hatte”, sagte Lombardi.

Interessant sei laut Lombardi Erdogans Aufforderung an Armenien, in einer gemeinsamen Historikerkommission die Archive auf die Klärung dieser Frage hin zu untersuchen. “Ich hoffe, dass die Dialogbereitschaft überwiegen wird”, ließ Lombardi wissen.

(APA)

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Papst nahm Erdogans Protest bewusst in Kauf, Vatikan will diesen nicht kommentieren
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen