Ex-Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein 74-jährig gestorben

Wie der Verfassungsgerichtshof, dem Bierlein rund 16 Jahre angehörte, mitteilte, erlag sie kurz vor ihrem 75. Geburtstag einer kurzen schweren Erkrankung.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) würdigte, dass Bierlein in einer schwierigen Phase Verantwortung aus Liebe zu ihrer Heimat übernommen habe: "Unser Land ist ihr zu großem Dank verpflichtet."
Erfolgreiche Juristin und Übergangskanzlerin
Die Karriere-Juristin war nach ihrer Funktion als Generalanwältin bei der Generalprokuratur von 2003 bis 2018 Vizepräsidentin des VfGH und von Februar 2018 bis zu ihrer Ernennung zur Bundeskanzlerin am 3. Juni 2019 Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Im Auftrag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen führte sie Österreich nach den Wirren des Ibiza-Skandals ohne großen Aufhebens in Neuwahlen. Danach beendete sie quasi ihre öffentliche Karriere.
Bundeskanzler Nehammer zeigte sich in einer Aussendung zutiefst erschüttert. Mit Bierlein verliere Österreich eine herausragende Persönlichkeit und Vorreiterin, die die Republik für Generationen entscheidend geprägt habe: "Sie hat in einer schwierigen Zeit nicht gezögert, Verantwortung zu übernehmen, um der Republik und den Menschen in unserem Land zu dienen."
VfGH-Präsident: "Verfechterin des Rechtsstaats"
Von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hieß es, der Verfassungsgerichtshofs verliere eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats.
Van der Bellen: "Mutige, disziplinierte Frau"
Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich tief betroffen von Bierleins Tod. "Sie hat in vielen Funktionen der Republik treu gedient. Als Hüterin unserer Verfassung und auch als erste Bundeskanzlerin", betonte er: "Ich habe Brigitte Bierlein als mutige, disziplinierte Frau kennengelernt, die Verantwortung übernommen hat, als ihr Land sie gebraucht hat. Sie wird für viele Mädchen und Frauen, für uns alle, auch in Zukunft als Vorbild wirken."
Weiter Reaktionen
Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler bezeichnete die Verstorbene als Pionierin in vielerlei Hinsicht: "Mit Kompetenz und Sachlichkeit hat sie ihr Amt in einer politisch unruhigen Phase verantwortungsvoll geführt." Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), aktuell Vorsitzende der Landeshauptleute-Konferenz, nannte Bierlein eine "große und beeindruckende Persönlichkeit". Auch weitere Landeshauptmänner kondolierten.
Bierleins Kanzlervorgänger und -nachfolger Sebastian Kurz (ÖVP) meldete sich ebenfalls zu Wort. Bierlein habe in einer turbulenten Zeit mit ruhiger Hand für Stabilität in Österreich gesorgt und davor über viele Jahre die Arbeit des VfGH geprägt, erklärte er.
SPÖ-Chef Andreas Babler betonte, Österreich verliere mit Bierlein eine engagierte Juristin und hoch angesehene Persönlichkeit, die in einer der schwersten Krisen der Zweiten Republik nach dem jähen Ende der schwarz-blauen Bundesregierung nicht gezögert habe, Verantwortung zu übernehmen. FPÖ-Chef Herbert Kickl würdigte sie als "großartige Persönlichkeit, Juristin und Politikerin". NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach von einem "traurigen Tag für Österreich" und nannte Bierlein als erste Bundeskanzlerin "ein Vorbild für viele".
Von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hieß es, der Verfassungsgerichtshofs verliere eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats. Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker meinte, Bierlein habe Maßstäbe gesetzt und sei eine herausragende Persönlichkeit gewesen. Worte der Trauer kamen auch von den Bundestheatern, fungierte sie doch auch als Aufsichtsratvorsitzende der Holding.
Neben ihren beruflichen Aufgaben war Bierlein jahrzehntelang in der staatsanwaltlichen Standesvertretung, in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt sowie als Vorsitzende des Aufsichtsrats der Bundestheater-Holding und des Kuratoriums der Stiftung Forum Verfassung tätig.
Eine Karriere für die Justiz
Bierlein gilt hierzulande als "Pionierin". Nicht nur war sie erste Regierungschefin, auch am VfGH war die Wienerin die erste Frau, die es ganz an die Spitze schaffte. Sie selbst attestierte sich dereinst einen "gewissen Ehrgeiz".

Bierlein, Tochter eines Beamten und einer Künstlerin, verschrieb ihre Karriere der Justiz. Dabei hatte sie dereinst sogar überlegt, sich an der Kunstakademie einzuschreiben, ehe dann gemäß Rat der Mutter doch das Interesse am Recht Vorrang gewann. Die Kunst blieb Begleiterin der stets modische Akzente setzenden Juristin. Sie galt als Lieberhaberin des Theaters und der Malerei, gehörte auch dem Aufsichtsrat der Bundestheater-Holding an.
In nur vier Jahren hatte Bierlein das Jus-Studium absolviert, mit 26 legte sie die Richteramtsprüfung ab, mit 28 Jahren wurde sie zur Staatsanwältin ernannt, mit 41 Generalanwältin, 2003 Vizepräsidentin am VfGH und am 1. Jänner 2018 dessen Leiterin.
Schnörkellos und gerade
In der Justiz war Bierlein schon als Standesvertreterin nicht nur mit ihrer fachlichen Qualifikation, sondern auch mit resolut-selbstbewusstem Auftreten und schnörkellos-geraden Ansagen aufgefallen. 1977 von den Richtern zu den Staatsanwälten gewechselt, engagierte sie sich in der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte - und wurde dort 2001 zur Präsidentin gewählt. Auf diese Funktion musste sie mit dem Eintritt in den VfGH verzichten. Vor dem Wechsel in das Höchstgericht war sie nicht weniger als zwölf Jahre Generalanwältin in der Generalprokuratur, davor in Staatsanwaltschaft und Oberstaatsanwaltschaft Wien tätig.
Politisch wurde Bierlein, der als Staatsanwältin eine gewissen Tendenz zu Law&Order zugeschrieben wurde, eher dem konservativen Sektor zugeordnet. Parteimitglied war sie jedoch nie. Als Van der Bellen sie zur Bundeskanzlerin ernannte, kam dann auch Beifall von allen Seiten. Das gute halbe Jahr, das sie die Regierungsgeschäfte schnörkellos führte, war dann auch von Skandalen verschont.
Für Familie keine Zeit
Für Familie blieb der Wienerin keine Zeit, sie hätte es sich nicht vorstellen können, Job und Kinder unter einen Hut zu bringen, sagte Bierlein in Interviews. Ihr langjähriger Lebensgefährte, der Richter Ernest Maurer, verstarb 2021.
In ihrer Freizeit besuchte Bierlein gerne Vernissagen und Ausstellungen, sowie - wenn es die Zeit zuließ - Oper und Theater. Auch sammelte sie Kunst, hatte etwa einen (Josef) Mikl zuhause hängen. Nur am Rande mit Kultur zu tun hatte, dass sie zur Leiterin der Sonderkommission zum Skandal in der Wiener Ballett-Akademie bestellt wurde. Bierlein war auch in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt aktiv.
(APA)