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Orchestre Symphonique de Montreal gastiert im Wiener Konzerthaus

Kent Nagano gilt als einer der ganz Großen seines Fachs
Kent Nagano gilt als einer der ganz Großen seines Fachs ©Felix Broede
Kent Nagano und das Orchestre Symphonique de Montreal gastieren am 17. März im Wiener Konzerthaus. Der Pop-Star unter den Dirigenten verspricht wie immer ein außergewöhnliches Erlebnis.

Am Fußboden des “Espace OSM” wird Yoga praktiziert. Über Kopfhörer sind die Teilnehmer, je nach Geschmack, in eine der Playlists des Orchestre Symphonique de Montreal eingeklinkt. Im Hintergrund läuft ein Video mit Chefdirigent Kent Nagano, wie er Schostakowitschs 15. Symphonie dirigiert.

Der Multimediaausstellungsraum über das Orchester im Souterrain der “Place des Arts” in der kanadischen Metropole ist einer von vielen Orten, an denen das Orchester mit seiner Stadt auf durchaus unkonventionelle Weise kommuniziert. In die Schostakowitsch-Aufführung kann man auch per Virtual-Reality-Brille einsteigen und dem Maestro über die Schulter schauen. Kent Nagano wird in Montreal gefeiert wie ein Popstar. “Man kennt den Namen Nagano besser als den Namen Beethoven”, vermutet Caroline Louis, Direktorin des Education-Programms des OSM, im APA-Gespräch.

Innovationen unter dem Namen Nagano

“Seine Zeit bei uns war von Innovationen geprägt”, so Jonathan Prunier, Leiter von Marketing und Kommunikation. Konzerte im Stockfinsteren, Konzerte mit Livevisualisierung, Konzerte im Park und im Stadion. Ein Musikkindergarten im ärmeren, von Migration besonders geprägten Norden der Stadt, Konzerte mit den Angehörigen der “First Nations” in deren Territorien und “trostbringende” Auftritte in Gebieten, die von Überschwemmungen heimgesucht waren. “Er hat das Orchester ganz stark in die Stadt und die ganze Provinz hinaus getragen.” Am 17. März trägt er es im Zuge der Europa-Tournee auch ins Wiener Konzerthaus.

Die Saison 2019/20 wird Naganos letzte am Chefpult des OSM sein. 16 Jahre lang wird der US-Amerikaner, zugleich Musikdirektor in Hamburg, dann in der zweitgrößten französisch-muttersprachlichen Stadt der Welt gewirkt haben. Über einen Nachfolger wurde noch nicht entschieden, ein Interregnum gilt als wahrscheinlich. “Ich hoffe, es wird nicht zu lange dauern. Aber das Wichtigste ist, dass sie den Richtigen finden”, betont Alexa Zirbel, seit 1993 an der Oboe im Orchester engagiert. Zwischen Nagano und seinem Vorgänger, dem 25 Jahre lang amtierenden Charles Dutoit, gab es einige Jahre ohne Chefdirigenten. Prägende Figuren für das Orchester waren davor etwa der junge Zubin Mehta in den 1960er-Jahren und natürlich Wilfrid Pelletier, der den Klangkörper 1934 gründete.

Enge Verbindung zu Frankreich

Mit nur 85 Jahren ist das Orchestre Symphonique de Montreal das älteste und im Hinblick auf die internationale Reputation auch das wichtigste Orchester Kanadas. Die Gründungszeit hat sich in seine DNA eingeschrieben: Als Orchester der französischsprachigen Provinz Quebec gab es stets eine innige Verbundenheit mit dem französischen Repertoire, die damals durchaus zeitgenössisch war. Debussy, Strawinski, Ravel heißen die Säulenheiligen, die hier in kaum einem Konzert fehlen dürfen. Unter den heutigen Zeitgenossen nimmt etwa der Pole Krzysztof Penderecki eine besondere Rolle ein – mit seiner “Lukaspassion” gab das Orchester im vorigen Sommer auch sein Debüt bei den Salzburger Festspielen.

“Tourneen sind wichtig für das Gefühl, hoch hinaus zu wollen”, sagt Solobassist Ali Kian Yazdanfar zur APA. “Salzburg war dafür großartig. Auf der Weltbühne zu bestehen, ist eine tolle Motivation.” Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Vor allem begreift man sich als Orchester für Montreal, für Quebec. “Ich wollte immer schon hier leben”, so Yazdanfar, der selbst aus den USA stammt. “Montreal ist eigenwillig. Es bleibt sehr bei sich und seiner Kultur, obwohl oder gerade weil es so eine diverse Stadt ist.” Etwa 35 Prozent der Bevölkerung ist zugewandert, und bei nur 1,7 Millionen Einwohnern ist die ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt vergleichbar mit nordamerikanischen Viel-Millionen-Städten.

100 Konzerte pro Jahr

Das resultiert in einer stark sichtbaren Grätzel-Kultur, in einer Fülle verschiedenster Gotteshäuser und einem prononcierten internationalen Vibe – verstärkt nicht nur durch die Mehrsprachigkeit, sondern vor allem durch die drei renommierten, sehr international zusammengesetzten Universitäten. “Diese Stadt ist vor allem sehr lebenswert”, sagt Alexa Zirbel, ebenfalls gebürtige US-Amerikanerin. “Das liegt auch daran, dass vieles europäischer ist als in den Vereinigten Staaten.”

Etwa die soziale Absicherung, die staatliche Förderung für Kultur – sie sind nicht so hoch wie in Europa, aber dennoch wesentlich höher als in den kaum 50 Kilometer entfernten USA. Etwa 30 Prozent des Orchesterbudgets stammt aus der öffentlichen Hand, 20 Prozent aus den in Nordamerika traditionell wichtigen Spenden. Ein öffentlich-privates Partnerprojekt war auch der lange erkämpfte Bau der 2011 unter Nagano eröffneten “Maison Symphonique”, einer rund 2.000 Plätze fassenden Konzerthalle, ebenfalls im verzweigten Komplex der Place des Arts und im Stadtteil “Quartier des Spectacles” angesiedelt. In dieser Heimstätte spielt das Orchester etwa 100 Konzerte pro Jahr.

An diesem Abend stehen Teile des Tourneeprogramms für Europa auf dem Spielplan. Debussys “Jeux” und Strawinskis “Le Sacre du Printemps” etwa, die beide in Wien gespielt werden. Beide, sowohl das “getanzte Gedicht” von Debussy als auch Strawinskis wildes “Frühlingsopfer”, wurden durch die Ballets Russes in Paris uraufgeführt. Das OSM spielt sie mit routinierter Eleganz mit ebenso ausgeklügelter wie selbstverständlicher Akzentuierung, Nagano wählt flüssige Tempi und waltet über einen blühenden Strauß an Farben. Das Publikum in Montreal hört diese Stücke wie ein Wiener seinen Walzer und genießt entspannt das Wohlbekannte. Sind die letzten Takte eines Stücks verklungen, wird umgehend aufgesprungen und mit wohlerprobter Begeisterung auf Standing Ovations geschaltet.

Junges Publikum und viele Fans

Es ist ein junges, vielfach gar studentisches Publikum, das in den späten, ungebrochen kalten Wintertagen in dicken Mänteln in den holzgetäfelten Saal kommt, obwohl man in Montreal weite Strecken der Innenstadt in einem unterirdischen Netz aus Stationen, Einkaufszentren, “Food Courts” und etwa den verschiedenen Kulturtempeln der Place des Arts durchqueren kann. Draußen freilich stapeln sich meterhohe Schneehaufen auf winzigen Grünflächen, Fahrradfahrer sind mit Skibrillen unterwegs und: über der Fußgängerzone rund um die Place des Arts rauschen dick eingepackte Menschen via Flying Fox durch die Luft. “Montreal en lumiere” heißt das bunte Straßenfestival, das hier in den späten Februar- und frühen Märztagen ähnlich einem Kirtag zum Feiern mitten in der Kälte einlädt.

Für gemeinsame Outdoor-Aktivitäten, das ist kanadische Ehrensache, ist es nie zu kalt. Klassische Musik im Freien gibt es trotzdem erst wieder im Sommer, wenn das OSM zum Festival “Classical Spree” in die verschiedenen Parks der Stadt, in die Maison Symhonique und sogar ins Sportstadion lockt. Eines der Highlights des vergangenen Festivals war übrigens ein Konzert, das man nach der Rückkehr vom Österreich-Gastspiel 2018 nach Montreal brachte. “Kent Nagano dirige les grands de Vienne” – mit exotischen Gustostückerl’n von Mozarts “Figaro”-Ouvertüre bis zum “Kaiserwalzer” von Johann Strauß.

(APA/red)

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