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Blutige Gewalt am Wahltag in Venezuela

Die Opposition boykottierte die Wahl
Die Opposition boykottierte die Wahl ©APA (AFP)
Explosionen, Schüsse, bürgerkriegsähnliche Szenen: Die umstrittene Wahl von 545 Mitgliedern einer Verfassungsgebenden Versammlung in Venezuela ist von zahlreichen Todesfällen überschattet worden. Die Opposition boykottierte die Wahl, Präsident Maduro sprach von einem Erfolg. Die Behörden nannten eine Beteiligung von mehr als 41 Prozent. Zahlreiche Staaten kündigten an, die Wahl nicht anzuerkennen.
Proteste in Venezuela eskalieren

Nach Angaben der Opposition starben am Wochenende mindestens 16 Menschen, die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte acht Tote. Der Bürgermeister von Caracas, Jorge Rodríguez, sagte dagegen: “Das ist eine Lüge. (…) Es gab nicht einen Toten im Zusammenhang mit dem Wahlereignis.”

Maduro spricht von Erfolg

Präsident Nicolás Maduro wertete die Abstimmung als Erfolg. “Wir haben eine verfassunggebende Versammlung”, sagte der Staatschef in der Nacht zum Montag (Ortszeit) in Caracas vor hunderten Anhängern. Es sei die “größte Abstimmung für die Revolution”.

Laut nationaler Wahlbehörde nahmen 8,1 Millionen Menschen an der umstrittenen Wahl teil. Das entspreche einer Beteiligung von 41,53 Prozent, sagte die Präsidentin der Behörde, Tibisay Lucena, Montagfrüh in Caracas. Die Opposition sprach von einem Wahlbetrug, da diese Zahl viel höher sei, als es den Tatsachen entspreche.

“Größter Wahlbetrug in unserer Geschichte”

Schon Stunden vor der Bekanntgabe hatte der Präsident des Parlaments, der Oppositionelle Julio Borges, unter Verweis auf Informationen aus der Wahlbehörde mitgeteilt: “Der größte Wahlbetrug in unserer Geschichte. Lucena wird mehr als acht Millionen Stimmen verkünden, sie verdreifachen fast das wirkliche Resultat.” Die Opposition verwies auf Zahlen aus der Behörde von nur 2,48 Millionen abgegebenen Stimmen – bei 19,4 Millionen Wahlberechtigten.

Der sozialistische Staatspräsident Maduro steht seit Wochen unter massivem Druck. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt steht am Rande des Ruins, Menschen hungern, es fehlt an Lebensmitteln und Medikamenten. Er gibt dem gefallenen Ölpreis die Schuld. Um seine Stellung zu festigen – bei den Unruhen starben seit April mindestens 121 Menschen – hatte er eine Verfassungsreform vorgeschlagen; obwohl die bisherige von seinem Mentor und Vorgänger Hugo Chávez stammt. Es gehe um eine “ruhige Zukunft”, um Frieden für Venezuela, so Maduro.

Zu neuen Protesten aufgerufen

Die Zusammensetzung der Verfassungsgebenden Versammlung mit vielen Vertretern aus Sektoren, die den Sozialisten nahestehen, nahm das Ergebnis für viele Beobachter schon vor der Bekanntgabe vorweg. Hier werden die seit 1999 regierenden Sozialisten freie Hand haben. Mitte der Woche soll die Versammlung ihre Arbeit aufnehmen – und zwar im Gebäude des Parlaments, in dem die Opposition seit Anfang 2016 die Mehrheit hat. Es gibt Hinweise, dass diese Verfassungsversammlung das Parlament ganz ersetzen könnte.

Dann wäre die Gewaltenteilung de facto aufgehoben und die Sozialisten hätten wieder die alleinige Macht. Trotz eines Demonstrationsverbots rief das aus rund 20 Parteien bestehende Bündnis “Mesa de la Unidad Democrática” zu neuen Protesten gegen Maduro auf: “Gegen Diktatur und Verfassungsbetrug”, lautete das Motto. Aber wegen der massiven Polizeipräsenz gab es kaum Zulauf. Zudem drohten bis zu zehn Jahre Haft für Leute, die demonstrieren. Oppositionsführer Henrique Capriles sagte nach der Wahl: “Dies ist ein schwarzer Tag, verursacht von den kranken Ambitionen einer einzigen Person”. Die Wähler seien massenhaft zu Hause geblieben, die Repression zeige die Verzweiflung.

USA drohen mit Sanktionen

Die USA drohen mit Wirtschaftssanktionen, sie sind einer der größten Abnehmer des Öls. Auch die EU will das Votum nicht anerkennen. Argentinien, Peru, Chile, Brasilien und Kolumbien nannten die Wahl “illegal”. Befürchtet wird eine weitere Verschlimmerung der Lage, Zehntausende sind bereits nach Kolumbien und Brasilien geflohen.

Es gab reihenweise Schießereien und kriegsartige Szenen. Zudem gab es Angriffe auf Wahllokale, Wahlcomputer wurden verbrannt. In Caracas gab es sieben verletzte Nationalgardisten bei einem Anschlag, mutmaßlich verübt von Gegnern Maduros. Dabei war im Viertel Altamira, wo die Ober- und Mittelschicht wohnt, ein großer Feuerball zu sehen.

Viel Spott für Maduro

Vizepräsident Tareck El Aissami sprach von einer “massiven Beteiligung”. Bilder zeigten aber viele leere Wahllokale. Die Chefin der Wahlbehörde, Tibisay Lucena, teilte mit: “Die Wahl der Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung ist im ganzen Land in ruhiger und friedlicher Weise abgelaufen.” Auf Hunderttausende Arbeiter in staatlichen Unternehmen wurde Druck ausgeübt, an der Wahl auch teilzunehmen. Mitte Juli hatten sich in einer von der Opposition organisierten Befragung 7,5 Millionen gegen die Reform ausgesprochen.

Maduro musste viel Spott über sich ergehen lassen – er wollte das perfekt funktionierende Wahlsystem demonstrieren und ließ bei seiner Stimmabgabe seinen Ausweis (Carnet de Patria) scannen. Nach einigen Sekunden erschien auf der digitalen Anzeige: “Diese Person existiert nicht oder der Ausweis wurde annulliert.” Das Video verbreitete sich tausendfach in sozialen Netzwerken, verbunden mit Kritik. Durch das Scannen der Daten werde kontrolliert, wer wählen gehe und wer nicht.

(APA/dpa)

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