NSA-Affäre: Obama schweigt zu außenpolitischem Scherbenhaufen
In der Öffentlichkeit mauert die Regierung von Präsident Barack Obama zu den Vorwürfen. Hinter den Kulissen sorgt sich das Weiße Haus aber um seine außenpolitischen Interessen und bemüht sich um Schadensbegrenzung. Die zögerlichen Antworten aus Washington dürften die empörten Partnerländer allerdings kaum zufriedenstellen.
Fragen zu Einzelheiten abgeblockt
“Wir haben begonnen, die Art und Weise zu überprüfen, wie wir Geheimdiensterkenntnisse sammeln”, sagte Obama Ende September in seiner Rede bei der UN-Generaldebatte in New York. Ziel sei ein “angemessenes” Gleichgewicht zwischen Sicherheitsinteressen und der Achtung der Privatsphäre. Präsidentensprecher Jay Carney und andere ranghohe Regierungsvertreter haben diese Botschaft seitdem in verschiedenen Variationen wiederholt. Nachfragen zu den Einzelheiten der Spähprogramme der NSA blockten sie dagegen weitgehend ab, eine öffentliche Entschuldigung schien ausgeschlossen. Alle Länder spionieren – das ist Washingtons Mantra.
Merkel stellt Obama am Telefon zur Rede
In einer Reihe von Hauptstädten in Europa und Lateinamerika mussten US-Botschafter in den vergangenen Wochen im Außenministerium vorstellig werden. Gerade in Deutschland war diese diplomatische Maßregelung der US-Alliierten ein beispielloser Vorgang. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte Obama in einem harschen Telefonat zur Rede, als sich Hinweise auf eine Überwachung ihres Mobiltelefons verdichteten. Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff, deren Kommunikation ebenfalls ausgespäht worden sein soll, sagte einen Staatsbesuch in den Vereinigten Staaten ab.
35 Spitzenpolitiker auf Abhörliste
Medienberichten zufolge sollen 35 internationale Spitzenpolitiker auf der Abhörliste der NSA gestanden haben. Unklar war, ob Obama von der gezielten Überwachung von Staats- und Regierungschefs befreundeter Länder gewusst hat. Die NSA dementierte einen Bericht der “Bild am Sonntag”, wonach Geheimdienstchef Keith Alexander bereits im Jahr 2010 persönlich mit dem Präsidenten über eine Bespitzelung Merkels gesprochen haben soll. Das “Wall Street Journal” schrieb unter Berufung auf US-Regierungskreise, dass Obama erst vor wenigen Wochen von den Lauschangriffen erfahren und einen sofortigen Stopp angeordnet habe.
“Ich glaube, dass Obama begriffen hat, dass die Spähprogramme einen globalen Reputationsschaden insbesondere unter den Verbündeten verursacht haben”, sagt Annegret Bendiek von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, die derzeit in Washington zur Geheimdienstzusammenarbeit zwischen Europa und den USA forscht. Die durch die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden ausgelöste Spionageaffäre berge für die USA wirtschaftspolitische Risiken.
USA könnten wichtige Märkte verlieren
Angesichts der US-Überwachung würden immer mehr Staaten nach “technologischer Souveränität” streben, sagt Bendiek. “Die amerikanische Vorherrschaft im Internet wird jetzt von allen massiv infrage gestellt, und nicht mehr nur von autoritären Regimen.” Ein Beispiel seien die Pläne der Telekom für ein innerdeutsches E-Mail-Netz. Langfristig könnten US-Internetunternehmen wichtige Märkte verlieren, sagt Bendiek.
Freihandelsabkommen in Gefahr?
Der NSA-Skandal belastet auch die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union, das große transatlantische Projekt von Obamas Präsidentschaft. Durch den Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen erhofft sich der Präsident auch einen Wachstumsimpuls für die US-Wirtschaft. Nun mehren sich die Stimmen in Europa, die das Vorhaben bis zur Klärung der Spähvorwürfe aufschieben wollen. Bendiek vermutet, dass ein Freihandelsabkommen am Ende nur zustande kommen werde, wenn es parallel eine transatlantische Einigung auf strengeren Datenschutz gebe.
“Diese Enthüllungen haben erhebliche Herausforderungen in unseren Beziehungen zu einigen unserer engsten ausländischen Partner geschaffen”, räumte Obamas Anti-Terror-Beraterin Lisa Monaco in einem Gastbeitrag für die Zeitung “USA Today” ein. Das Weiße Haus ließ wissen, dass “einige dieser Spannungen” über “unsere regulären diplomatischen Kanäle” angesprochen würden. Obama selbst, in den gerade Europa nach der Präsidentschaft von George W. Bush große Hoffnungen gesetzt hatte, schwieg zu dem außenpolitischen Scherbenhaufen.
(APA)