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Nobelpreise in Stockholm verliehen

Mit der kraftvollen und punktgenauen Rede des Permanenten Sekretärs der Schwedischen Akademie, Horace Engdahl, wurde im Lichte der Weltöffentlichkeit ein Stück österreichischer Literaturgeschichte besiegelt.

Die abwesende Elfriede Jelinek wurde bei der Nobelpreis-Verleihungszeremonie als erste österreichische Literaturnobelpreisträgerin gewürdigt. Engdahl wandte sich während seiner in beschwörendem Tonfall gesprochenen Rede an die Kameras und sprach die zu Hause vor dem Bildschirm beiwohnende Autorin auf Deutsch an: „Hoch verehrte Elfriede Jelinek! Die Frau ist die Ironie der Gesellschaft, sagt Hegel. Durch Ihr Schreiben haben sie einer ketzerischen weiblichen Tradition neue Nahrung gegeben und die Kunst der Literatur erweitert“.

„Sie verhandeln weder mit der Gesellschaft noch Ihrer Zeit, und passen sich nicht den Lesern an. Wenn die Literatur gemäß ihrer Bestimmung eine Kraft ist, die auf nichts Rücksicht nimmt, dann sind Sie in unseren Tagen eine ihrer wahrhaftigsten Vertreterinnen“, so Engdahl in seiner Rede vor den anwesenden Vertretern des Schwedischen Königshauses, der Regierung und der Preis vergebenden Akademien. Jelineks Kompromisslosigkeit wirke dem „ewigen Karaoke-Effekt“ der Literatur entgegen, wenn sich Leser mit dem Autor identifizieren und „den Refrain mitsingen“.

Die Festveranstaltung in Stockholm hatte um 16.30 Uhr mit der Schwedischen Königshymne und Mozarts Marsch in D-Dur KV 249 begonnen, zu dem die Preisträger in das mit 13.000 Blumen aus Alfred Nobels Sterbeort San Remo geschmückte Konzerthaus einmarschierten. 1.600 Gäste wohnten dem Event bei, für die musikalische Untermalung sorgte die Stockholmer Königliche Philharmonie. Für die Autorin war kein Stuhl auf der Bühne des Konzerthauses frei gehalten worden, wo die anderen Neo-Nobelpreisträger auf roten, die Königsfamilie auf blau-goldenen und die Akademie-Mitglieder auf blauen Stühlen Platz nahmen.

Zuvor und nach der Zeremonie war einiges von dem Rummel zu spüren, der Elfriede Jelinek unter anderem abgehalten hat zu kommen. Der großräumig von der Polizei abgesperrte Platz vor dem Konzerthaus wurde von Hubschraubern überflogen und verwandelte sich mit Eintreffen der Festgäste langsam in einen Limousinenpark, an dessen Rändern sich die Schaulustigen und auch vereinzelte Demonstranten drängten.

Die Eröffnungsrede hielt der Generalsekretär der Nobelstiftung, Bengt Samuelsson, der Einblicke in die Geschichte und den Auswahlprozess der Nobelpreise gab und auch die historischen Gründe der prozentuellen Benachteiligung der Frauen bei den Nobelpreisen ansprach. Nur knapp mehr als vier Prozent der von 1901 bis 2003 gewürdigten Nobelpreisträger – 31 von 705 – waren Frauen, so Samuelsson. Heuer gibt es mit drei Preisträgerinnen (Jelinek, Buck und Maathai) so viele wie noch nie in einem Jahr. „Vielleicht geben die heurigen Auszeichnungen einen kurzen Ausblick auf die Veränderungen, die wir in diesem Jahrhundert sehen werden“, hoffte Samuelsson.

„Musikalische Wechsel in der Sprache“

Im geschmückten Saal nahmen ihren Preis persönlich aus den Händen des schwedischen Königs Carl XVI Gustaf entgegen: David J. Gross, H. David Politzer und Frank Wilczek (Physik), Aaron Ciechanover, Avram Hershko und Irwin A. Rose (Chemie), Richard Axel und Linda B. Buck (Medizin), und Finn E. Kydland und Edward C. Prescott (Wirtschaft). Zuvor hatte die Kenianerin Wangari Maathai in Oslo den Friedensnobelpreis überreicht bekommen.

Elfriede Jelinek klopfe die Sprache nach ihren verborgenen Ideologien ab ähnlich einem Arzt, der seinen Patienten abklopft, würdigte Horace Engdahl die österreichische Autorin mit ihren eigenen Worten. Sie sei eine Autorin, die “überall und nirgends“ ist: „Sie steht niemals ganz hinter ihren Worten, noch gibt sie ihren literarischen Figuren insofern nach, dass diesen die Illusion ihrer Existenz außerhalb der Sprache erlaubt wäre“. In Jelineks Werk gebe es nichts als einen „Strom von angereicherten Sätzen, scheinbar unter Hochdruck zusammengefügt und keinen Raum für Momente der Entspannung lassend“. Jelinek manipuliere die Codes von Trivialkultur, Pornografie und Heimatromanen, so dass der „innere Wahnsinn dieser vorgeblich harmlosen Konsum-Phänomene durchscheint“. Die Autorin fängt ein „giftiges Murmeln ohne Ursprung oder Adressat“ ein, die „Stimme der Massen“.

„Erschrocken entdecken wir, wie Klassenunterdrückung, Sexismus, Chauvinismus und die Verzerrung der Geschichte durch alltägliche Konversationen hallen“, so Engdahl. Durch die „musikalischen Wechsel von Sprachen und Gegenstimmen“ lasse Jelinek eine Welt entstehen, „beleuchtet von ihrem Leben spendenden Zorn“. Die Schwierigkeit dabei, Jelinek zu lesen, liege darin, dass es „keinen sympathischen Erzähler“ gebe, „bei dem der Leser sich ausruhen kann“. Dies sei „das Erwachen aus dem Narzissmus des Lesens“. Jelinek sei „keine Pessimistin, denn im Pessimismus findet sich generell ein Hauch von Selbstmitleid“: „In ihren Verdammungen knirscht eine skandalöse Heiterkeit ohne Hoffnung, die Strahlen einer schwarzen Sonne“, so Engdahl in Stockholm, wo die Sonne auch zu Mittag derzeit kaum über die Häusergiebel lugt.

Der Sekretär der Schwedischen Akademie ließ damit mit einer beeindruckenden Rede aufhorchen, die das Werk Jelineks in großer Affinität und mit dem gebührenden Respekt beleuchtete. Das Publikum spendete starken Beifall.

Die österreichische Autorin wird ihre Nobelpreis-Urkunde und -Medaille bei einer privaten Feier in der Schwedischen Botschaft am 17. Dezember von Engdahl überreicht bekommen. Am Freitagabend folgte in Stockholm noch das feierliche Festbankett im Rathaus. 1.300 Gäste haben das bis zuletzt geheim gehaltene Menü verspeist, das 20 Köche zubereiteten und 200 Kellner servierten. 65 Tische im Blauen Saal des Rathauses waren mit 7.000 Porzellan-Einzelteilen, 5.000 Gläsern und 10.000 Besteckstücken dekoriert.

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