NGO: Bund und Länder führen Gericht hinters Licht

Das erklärte Johannes Wesemann von der NGO AllRise am Montag gegenüber der APA. Mit der Klage will die Organisation die Republik und die Bundesländer für Schäden durch ungebremsten, exorbitanten Bodenverbrauch haftbar machen und zur Umsetzung rechtlich bindender EU-Richtlinien bringen.
Bund und Länder führen Gericht bei Bodenverbrauch hinters Licht
"In den parallel laufenden Vertragsverletzungsverfahren der EU gegenüber Österreich gesteht die Republik die Fehler ein, die in der Klagebehandlung gegenüber dem Verfassungsgerichtshof grundlegend bestritten werden", sagte AllRise-Mitgründer und Anwalt Wolfram Proksch: Die Republik erörtere dort ebenfalls, wie sehr sie "die EU verstehe, wie wichtig die Richtlinien und ihre Umsetzung sind, und wie sehr man sich bemühe". Als Mitgliedsstaat der EU habe Österreich die Verpflichtung, deren Richtlinien "ordnungsgemäß und zeitgemäß umsetzen", erklärte seine Kollegin Theresa Stachowitz. Dies führe zu einer juristischen Haftung.
Ökologe: Flächenverbrauch werden derzeit in keiner Weise eingebremst
In der Replik (Gegenschrift) an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) bestreite die Republik jedoch, dass die Richtlinien nicht ordnungsgemäß und zeitgemäß umgesetzt werden, und wenn dem so wäre, sei dies kein Grund für Schäden. Dies sieht der Ökologe Franz Essl von der Universität Wien anders: "Mit den derzeitigen Maßnahmen wird der Flächenverbrauch in keiner Weise gebührend eingebremst, um Klimaziele- und Verpflichtungen sowie Biodiversitätsziele und -Verpflichtungen einzuhalten", sagte er. Die steigende Bodenversiegelung lasse die Grundwasserspiegel sinken und verstärke Probleme in Trockenperioden. Andererseits gäbe es flussabwärts von versiegelten Flächen höheres Hochwasserrisiko bei Starkregenereignissen. "Insbesondere in Ballungszentren führen verbaute Flächen auch zu einem heißeren und trockeneren Lokalklima", sagte er: "Der Hitzeinseleffekt kann dabei kurzfristig mehrere Grad betragen". Das führe zu erhöhten Gesundheits- und Sterberisiken bei den Menschen, die dort wohnen und arbeiten.
Land OÖ: Klimawandel betreffen nur die Menschheit generell
Das Land Oberösterreich habe in seiner Replik sogar behauptet, dass "der Klimawandel nur die Menschheit generell betrifft, aber keine individuelle Betroffenheit bestünde", so Proksch. Ebenfalls wurde von Seiten des Bundeslandes gegenüber dem VfGH bestritten, dass die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurde, sagte Stachowitz: Gegenüber der EU gab es jedoch zu, dass es den Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. "Dies ist ein bemerkenswerter Widerspruch", sagte Proksch.
"In Österreich fehlt aber einfach der politische Wille"
Er glaube, dass "viele Legisten (Verfasser von Gesetzestexten, Anm.) in den zuständigen Ministerien kompetent wären, die hinreichend klaren EU Gesetze umzusetzen", so der Jurist: "In Österreich fehlt aber einfach der politische Wille". Offensichtlich sei auch "die Politisierung der Verwaltung so weit fortgeschritten, dass sich niemand mehr traut, sie so umzusetzen, wie die Verfassung es vorschreibt", meint er.
Proksch: "Wenn es die Politik nicht tut, dann müssen Gerichte handeln"
"Wenn es die Politik nicht tut, dann müssen die Gerichte handeln", erklärte Proksch: "Wir glauben dass wir hier so gut wie noch nie in der Vergangenheit nachweisen können, dass Nicht-Umsetzen der EU Richtlinien zu Schaden geführt hat". Laut Wesemann wurde am vergangenen Dienstag (19. September) von Seiten der NGO eine Gegenschrift zur Replik der beklagten Parteien (die Republik Österreich sowie die Länder Nieder- und Oberösterreich) an den Verfassungsgerichtshof geschickt.
Kritik an Bund und Ländern von Michael Bernhard (NEOS)
Kritik an Bund und Ländern kam auch vom Michael Bernhard, dem Klima- und Umweltsprecher der NEOS. Er erklärte: "Bundesländer, die über die vereinbarten Ziele versiegeln, sollen weniger Geld vom Bund kommen". Dafür müsse die Bodenversiegelung in die Finanzausgleichsverhandlungen aufgenommen werden. Um den Bodenverbrauch in den Griff zu bekommen, brauche es offenbar Sanktionen, nicht weitere Arbeitskreise.
Täglich mehr als elf Hektar Boden in Österreich verbraucht
Aktuell werden in Österreich täglich mehr als elf Hektar Boden verbraucht. Im türkis-grünen Regierungsprogramm ist von einem Zielpfad zur Reduktion des Flächenverbrauchs auf 2,5 Hektar am Tag die Rede, aber gesetzliche Vorgaben fehlen. Allein Niederösterreich verbraucht 2,5 Hektar Boden pro Tag, Oberösterreich 2,2 Hektar täglich. Das wären eigentlich die Vorgaben für ganz Österreich.
AllRise brachte Anfang Mai eine Staatshaftungsklage ein
Anfang Mai brachte AllRise eine Staatshaftungsklage ein, um den viel zu hohen Bodenverbrauch in Österreich einzudämmen. Maßnahmen, den eigens gesetzten Zielwert endlich zu erreichen und damit auch notwendige Schritte im Kampf gegen den Klimawandel zu setzen, seien ausständig, argumentiert die NGO. Erst kürzlich ist der Beschluss einer Bodenschutzstrategie mit verbindlichen Maßnahmen erneut gescheitert.
Verfassungsgerichtshof hat sich der Klage Mitte Juni angenommen
Mitte Juni hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Klage angenommen. Die Beklagten bestreiten jedoch die Zuständigkeit des VfGH, wie aus deren Gegenschriften hervorgeht. Die Republik und die beiden Länder behaupten, dass ein allfälliger Schaden - den sie abstreiten - nicht durch den jeweiligen Gesetzgeber, sondern allenfalls durch Behörden verursacht worden sei. Wenn überhaupt, wäre er vor Zivilgerichten geltend zu machen. Zudem seien die Ansprüche verjährt, weil schon bei Ablauf der Umsetzungsfrist der in der Klage genannten EU-Richtlinien klar gewesen sei, dass diese Richtlinien nicht umgesetzt wurden.
(APA/Red)