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Neues Sozialhilfe-Gesetz unter der Lupe: Das sagen die Experten

Im Parlament wurde über das neue Sozialhilfe-Gesetz beraten.
Im Parlament wurde über das neue Sozialhilfe-Gesetz beraten. ©APA (Sujet)
Am Montag beschäftigten sich Experten im Sozialausschuss mit der Neuregelung der Mindestsicherung. Dabei untermauerten sie weitgehend jene Standpunkte der Parteien, von denen sie nominiert wurden.
Q&A zur Mindestsicherung Neu

Keine Überraschungen haben die Einschätzungen der Experten zum umstrittenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, also der Neuregelung der Mindestsicherung, am Montag im Sozialausschuss gebracht. Die Fachleute untermauerten weitgehend die Standpunkte der Parteien, die sie entsandt haben.

Fachleute von ÖVP und FPÖ lobten neue Sozialhilfe

Die von Türkis-Blau Nominierten verteidigten die Regierungsvorlage, jene der Opposition übten zum Teil massive Kritik.

Die von der FPÖ entsandte Expertin aus dem Sozialministerium, Elisabeth Bruckmüller, bezeichnete das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz als “Meilenstein”. Ziel sei es, negativen Entwicklungen entgegenzusteuern. Zum einen hätten immer mehr Bezieher keine österreichische Staatsbürgerschaft mehr, zum zweiten würden die Ausgaben immer mehr steigen. Mittlerweile machten sie eine Milliarde Euro aus, so Bruckmüller. Die neue Sozialhilfe soll zudem die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützen, und der größere Fokus auf Sachleistungen würde die “Treffsicherheit” erhöhen. Außerdem liefere die Änderung des Sozialhilfestatistikgesetzes erstmals verbindliche Vorgaben, welche Daten von den Ländern zur Verfügung gestellt werden müssen, so Bruckmüller: “Damit haben wir erstmals verlässliche Daten aus den Ländern.”

Der von der Volkspartei entsandte Sozialrechtler Wolfgang Mazal betonte, dass auch die aktuelle Regelung in Sachen Armutsbekämpfung nicht “das Gelbe vom Ei” sei. Die neue Sozialhilfe bringe in mehreren Punkten einen Paradigmenwechsel. Es gebe nun keine einheitliche Mindestsicherung pro Kopf, sondern es werde verstärkt auf die Unterschiede in den Ländern Rücksicht genommen. Der Spielraum der Länder bei den Wohnkosten sei sinnvoll. Mazal sieht die Spielräume der Länder nicht problematisch: “Ich vertraue darauf, dass die Länder die Sache lösen werden.” Auch sei es legitim, einen starken Schwerpunkt auf Sachleistungen zu legen. Dies sei wichtig für die “soziale Kohäsion der Gesellschaft” und die Ausgewogenheit. Denn es dürften die Geldleistungen der Sozialhilfe nicht höher sein als manches Erwerbseinkommen. Und beim Spracherwerb sei nicht das primäre Ziel die Partizipation am Arbeitsmarkt, sondern die gesellschaftliche Teilhabe. Diesbezüglich sei der Spracherwerb ein “basic need”.

Massive Kritik von Experten der Opposition

Kein gutes Haar ließ der von der Liste JETZT nominierte Rechtspolitologe Nikolaus Dimmel an der Regierungsvorlage. Die neue Mindestsicherung sei von ihrem Ziel her “nicht mehr auf die Vermeidung von Armut ausgerichtet”. Vielmehr spitze sie die prekäre soziale Lage zu: “Die Armutslücke wird vergrößert.” Durch die “Deckelungsmechanik” seien die Handlungsspielräume massiv eingeschränkt. Zudem befürchtete er eine Verschlechterung bei den administrativen Kosten der Länder und Gemeinden.

Eine weitere “Polarisierung und Verfestigung” der Armut befürchtete auch die von der SPÖ geschickte Sozialwissenschaftlerin Karin Heitzmann. Vor allem Familien mit Kindern werden betroffen sein. Zudem stehe bei den Anreizen für Integration die Schnelligkeit und weniger die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Bereits im aktuellen Modell sei die kulturelle Teilhabe von Menschen, die eine bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen, eingeschränkt: “Die Teilhabemöglichkeiten werden durch die neue Sozialhilfe weiter reduziert.” Gleich mehrere rechtliche Bedenken meldete der ebenfalls von den Sozialdemokraten nominierte Arbeits- und Sozialrechtler Walter Pfeil an. Die asylpolitische “Mauer”, die da offenbar aufgebaut werden solle, werde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) und vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingerissen werden. Eine Rechtfertigung aus integrations- und fremdenpolizeilichen Gründen würden womöglich die Staffelung oder den Vorrang von Sachleistungen möglich machen, im Armenwesen solle aber einzig auf den Gesichtspunkt der sozialen Bedürftigkeit Bedacht genommen werden.

Staffelung bei Kindern “falsches Signal”

Für Ökonom Wolfgang Nagl (NEOS nominiert) geht das Ziel einer bundeseinheitlichen Regelung in die richtige Richtung, es werde halt nicht erreicht. Denn durch die Höchstgrenzen bleibe ein Spielraum für die Länder. Zudem hätte man noch mehr auf Sachleistungen setzen können, so Nagl: “Denn aus der Literatur wissen wir, dass Sachleistungen zielgerichteter sind, gerade im Wohnbereich.” Bei der Erhebung der Höhe der Mindestsicherung hätte sich der Ökonom mehr Transparenz gewünscht, etwa indem das Vorschlagsrecht bei einer Expertenkommission läge.

Die vorgesehene Staffelung bei den Kindern sei ein “falsches Signal”. “Das finde ich etwas unglücklich.” Bei den Vermögensfreigrenzen wäre es angebracht gewesen, das Lebensalter und die Erwerbssituation stärker zu berücksichtigen. In Sachen Deutschkenntnisse meinte Nagl, dass Anreize grundsätzlich zu begrüßen seien, es aber besser wäre, sie an die Bereitschaft und nicht an ein Sprachniveau zu koppeln. Auch die Änderung des Sozialhilfestatistikgesetzes seien “positiv” zu beurteilen. Die Daten müssten aber sowohl der Öffentlichkeit als auch der Wissenschaft zu Verfügung gestellt werden.

Gesetz nicht verfassungswidrig

Der von der FPÖ geschickte Verfassungsexperte Michael Schilchegger betonte, dass das Gesetz aus seiner Sicht keineswegs verfassungswidrig sei. Zudem werde es zu einer höheren “Systemgerechtigkeit” führen. Der von der ÖVP nominierte oberösterreichische Landtagsdirektor Wolfgang Steiner bezeichnete den Zeitplan bis zum Inkrafttreten als “ambitioniert”. Es werde nämlich einige Zeit benötigen, um die Systeme neu zu programmieren und anzugleichen. Weiters müssten Mitarbeiter geschult und Formulare neu gemacht werden, betonte Steiner: “Und das parallel zum weiterlaufenden Regelbetrieb.” Das Gesetz soll am 25. April im Nationalrat beschlossen werden und mit 1. Juni in Kraft treten, die Bundesländer haben für ihre Ausführungsgesetze bis Jahresende Zeit.

(APA/Red)

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