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Neuer Bildband zeigt Geschichte des Wiener Zinshauses

Das Buch widmet sich dem Wiener Zinshaus.
Das Buch widmet sich dem Wiener Zinshaus. ©Canva (Sujet)
Ein neuer Bildband widmet sich der Geschichte des Wiener Zinshauses. Auf über 250 Seiten erfährt der Leser, wie es zur Entstehung dieses für Wien so typischen Haustyps kam.

Spätestens ab 1860 veränderte Wien sein Gesicht. Mit dem Abriss der Stadtbefestigungen und dem Bau der Ringstraße ging es auch den Vorstädten innerhalb des Linienwalls (des heutigen "Gürtels") gewissermaßen an den Kragen. Damals entstanden neue Stadtviertel, die bis heute von jenem Bautyp geprägt sind, dem nunmehr im Residenz-Verlag ein neuer Bildband gewidmet wurde. Er trägt den Titel "Das Wiener Zinshaus - Bauen für die Metropole".

Neu im Residenz-Verlag: "Das Wiener Zinshaus - Bauen für die Metropole"

Auf 256 akribisch recherchierten und illustrierten Seiten wird vor Augen geführt, wie es zur Entstehung dieses für Wien so typischen Haustyps kam. Die Wiener Zinshäuser wuchsen insbesondere eben ab Mitte des 19. Jahrhunderts in die Höhe. Beim Betrachten alter Stadtpläne wird ersichtlich, dass dieses "Gründerzeitalter" einen äußerst radikalen Umbruch bedeutete. "Die von großzügigen bürgerlichen und adeligen Gärten mit repräsentativen Sommerpalästen durchsetzten barocken Vorstädte, einst eine Sehenswürdigkeit der Stadt, verschwanden vollständig. Wien vollzog einen heute kaum mehr vorstellbaren Maßstabssprung in die Moderne, dem eine über Jahrhunderte gewachsene Stadt zum Opfer fiel", heißt es in dem Buch.

Und weiter: "Mit der Zweiten Stadterweiterung wurden auch die ehemaligen Vororte von einer verstärkten Bautätigkeit erfasst, wobei hier größere zuvor unbebaute Areale - Felder, Wein- und Obstgärten - zur Verfügung standen." Im Gegensatz zu den Nobelzinshäusern der Inneren Stadt wurde in den Vororten allerdings qualitativ nicht so hochwertig gebaut. So publizierte die Zeitschrift "Bautechnik" 1888 einen Entwurf für die "Type eines Wohnhauses minderer Gattung in Ottakring".

Der Bauboom machte jedenfalls den typischen, meist ebenerdigen bis eingeschossigen, oft bauernhofarteigen Häuschen der Vorstädte den Garaus. Auch wenn sich gewisse Wohnstandards dadurch wohl auch erhöhten, ging doch das noch eher rurale, bisweilen ärmliche, Flair verloren. Zumal das Profitstreben schon damals stärker war als der Wunsch, historisch gewachsene Bausubstanz zumindest teilweise zu retten. Bereits 1883 hatte es in dem Magazin "Allgemeine Bauzeitung" geheißen: "Nebstdem macht das Verbauen grosser, früher unüberbauter Räume in den verschiedenen Vorstädten (...) riesige Fortschritte und immer mehr erwacht die Lust, die alten kleinen, ebenerdigen Häuser umzubauen und mehrstöckige an deren Stelle zu setzen."

Diese rasante Versiegelung und Bebauung war dem fulminanten Bevölkerungszuwachs geschuldet, den die Industrialisierung mit sich brachte. Der neue Bildband analysiert ebenso die Baustrukturen diese typischerweise von Straßen umgebenen Häuserblocks mit Innenhöfen. Die Dächer zierten Kuppeln, Türmchen und Skulpturen. Auch die Treppenhäuser oder allfällige Geschäftsräume im Erdgeschoß waren meist stilvoll dekoriert ausgestattet.

Bildband dokumentiert Bautyp, der das Wiener Stadtbild prägt

Mit den Mietobjekten änderte sich aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse: Lange Zeit waren Wiens Bewohner auch die Besitzer der Häuser, in denen sie wohnten. Mit der Entstehung der Zinshäuser entstand ein privater Mietwohnungsmarkt, der die Vermögens- und Machtverhältnisse der ursprünglich noch vom Adel geprägten Gesellschaft veränderte. "Vor einem Hausherrn bückt sich der Wiener viel tiefer als vor einem Baron, denn so ein Mann, der zu Ostern und Michaelis von Stiege zu Stiege steigt und den Zins fordert, ist ein Kaiser in seinem kleinen Reich", konstatierte der Berliner Satiriker Adolf Glaßbrenner (1810-1876) bereits Anfang der 1840er-Jahre anlässlich eines Wien-Besuchs.

Alles dies wird in dem neuen Bildband analysiert, zudem werden mittels zahlreicher Fotos und Pläne Bauwerke von berühmten Avantgarde-Architekten wie Otto Wagner und Adolf Loos oder des in der gesamten Monarchie aktiven Duos Ferdinand Fellner und Hermann Helmer gezeigt. Es kommen auch weniger berühmte - wahrscheinlich weil eher gängig planenden - Kollegen nicht zu kurz, zudem werden Geschichten wie jene des "Selfmade-Milliardärs und Bau-Tycoon" Anton Ölzelt erzählt. An den zwischenzeitlichen k.k. Hofbaumeister erinnert bis heute die Ölzeltgasse in Wien-Landstraße, obwohl angenommen werden kann, dass etwa den meist positiven Gutachten der von ihm geführten "Baucommission" zur Verbauung der Ringstraße nicht nur städtebauliche Aspekte und das Gemeinwohl, sondern auch "handfeste ökonomische Interessen" zugrunde lagen.

Doch gab es nicht nur glamouröse Bauten und epochale städtebauliche Entwicklungen, wie in dem Buch ebenfalls nachzulesen ist: "Die Schattenseiten des rasanten Wachstums der Stadt zur Jahrhundertwende spiegelte sich in den zahlreichen Pressemeldungen zum Wohnelend in den "Zinskasernen" der Arbeiterviertel wider. (...) Eine Zimmer-Küche-Wohnung war für Unverheiratete aus der Arbeiterschicht schlichtweg unleistbar. Den vielen aus allen Teilen der Monarchie zugewanderten jungen Arbeiter:innen blieb meist nichts anderes als das sogenannte Bettgehertum übrig." Als nächster Schritt zur Abhilfe folgten die Gemeindebauten des "Roten Wien".

Buchtipp: Marion Krammer, Andreas Nierhaus, Margarethe Szeless (Hg.): Das Wiener Zinshaus. Bauen für die Metropole. Fotos: von Nora Schoeller. Residenz Verlag, Wien 2023. 256 Seiten: 39,00 Euro.

(APA/Red)

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