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Nepal: Anarchie und Chaos

Grundrechte sind außer Kraft gesetzt, Kritik ist verboten, Medien werden streng zensiert. Menschenrechtler sehen Nepal seit der Machtübernahme durch König Gyanendra Anfang des Monats auf dem Weg in Richtung "Anarchie und Chaos".

Sie warnen, die königliche Unterdrückung könnte die Demokraten den maoistischen Rebellen in die Arme treiben. Ab Sonntag, dem neunten Jahrestag ihres bewaffneten Kampfes, haben die Maoisten zum Generalstreik aufgerufen – gestreikt werden soll, bis der König die Regierungsmacht wieder abgibt.

Zweifelhaft ist allerdings, ob der Streikaufruf die Bevölkerung überhaupt erreicht. Die zahlreichen kleinen Radiosender, die sich die freie Meinungsäußerung im Juli 2001 vor dem Verfassungsgericht erstritten, dürfen keine Nachrichten mehr senden. Fernseh- und Zeitungsredaktionen werden von staatlichen Aufpassern kontrolliert. Kritische Berichterstattung über die Regierung und die Sicherheitskräfte ist verboten. Unter den Notstandsgesetzen sind Politiker, Funktionäre und Menschenrechtsaktivisten festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden.

Nicht nur ihnen dürfte es wie Hohn vorkommen, dass der König bei seiner international verurteilten Machtübernahme erklärte, Ziel sei die „Verteidigung der Demokratie und die Wiederherstellung des Friedens“. Die Hoffnung, die neue Regierung könnte die Maoisten an den Verhandlungstisch bringen, zerschlug sich schon kurz nach dem Coup. Die Maoisten lehnten umgehend ab und nannten den königlichen Staatsstreich eine „brutale Dummheit“. Seitdem kommt es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen. Der König scheint inzwischen ganz auf die militärische Karte zu setzen – womit er schon in der vergangenen Jahren keine Lösung erzielte. Unabhängige indische Medien berichten von Lufteinsätzen der Armee gegen die Rebellen.

„Eine militärische Offensive gegen die Maoisten derzeit würde den Untergang für Nepal bedeuten“, warnt das Asiatische Zentrum für Menschenrechte (ACHR) mit Sitz in Indien. „Weitere Unterdrückung durch die Armee auf Geheiß des Königs wird die demokratischen Kräfte zwingen, sich den Maoisten anzuschließen.“ Der Konflikt bekäme dann eine neue Dimension. Die Menschenrechtsorganisation ACHR rief die Geberländer dazu auf, über ein Militärhilfe-Embargo nachzudenken und andere Unterstützung zurückzuhalten, bis der König die Demokratie wiederherstellt. Die Schweiz erklärte bereits, zunächst keine neuen Entwicklungshilfe-Verpflichtungen mit der neuen Notstands-Regierung einzugehen.

Besonders in Indien sieht man die Entwicklung beim kleinen Nachbarn mit Sorge. Doch die Kritik Neu-Delhis am König ist leiser geworden. Indien, maßgeblicher Waffenlieferant für die Armee des Himalaya-Königreichs, fürchtet um seinen Einfluss in Nepal. Die Rivalen Pakistan und China beeilten sich zu erklären, dass der Coup eine interne Angelegenheit Nepals ist. Pakistan sagte Nepal weiter Unterstützung zu.

Die indische Zeitung „The Hindu“ plädiert in einem Kommentar dafür, dem Nachbarn die „Waffen-Pipeline“ zuzudrehen – „auch wenn der König sich an andere Lieferanten wendet“. Das Blatt meint, Gyanendra setze mit seinen drastischen Maßnahmen nicht nur seine eigene Zukunft, sondern auch die der Monarchie aufs Spiel: „Indien wäre gut beraten, den Vorstellungsprozess über das noch vor wenigen Jahren Undenkbare zu beginnen: Ein Nepal ohne König.“

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