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Nehammer zu "Solidaritätsbesuch" in Kiew eingetroffen

©APA/REUTERS
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist Samstag Mittag zu einem "Solidaritätsbesuch" in der von Russland militärisch attackierten Ukraine eingetroffen.
Experten warnen vor Gas-Embargo gegen Russland
Nehammer zu "Solidaritätsbesuch" nach Kiew aufgebrochen

In der Hauptstadt Kiew wird er mit Präsident Wolodymyr Selenskyj sowie Premierminister Denys Schmyhal und Bürgermeister Vitali Klitschko zusammenkommen. Zudem steht ein Lokalaugenschein in der Stadt Butscha am Programm, wo bei mutmaßlichen russischen Kriegsgräuel mehr als 300 Zivilisten zu Tode kamen. Die Rückkehr erfolgt am Sonntag.

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Der Bundeskanzler war am Freitagabend zuerst nach Polen geflogen, von wo die Delegation samt Medienvertretern ab Przemyśl mit einem Nachtzug in die rund 700 Kilometer entfernte ukrainische Hauptstadt Kiew weiterfuhr. Przemyśl liegt 13 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Der Luftraum über der Ukraine ist wegen des Krieges gesperrt.

Ziele des Besuchs

Ziel des Besuchs sei es, "die Ukraine weiterhin bestmöglich humanitär und politisch zu unterstützen", hieß es aus dem Bundeskanzleramt. "Österreich hat bereits mehr als 17,5 Mio. Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds bereitgestellt sowie 10.000 Helme und über 9.100 Schutzwesten für den zivilen Einsatz geliefert. Weitere konkrete Maßnahmen sind bereits in Abstimmung und werden zeitnah bekanntgegeben."

Nehammer erklärte im Gespräch mit österreichischen Journalisten: "Die Kriegssituation zeigt, dass es für Ukraine wichtig, dass nicht nur sie an Integrität und Freiheit glaubt, sondern auch Europa." Daher sei der Aufenthalt in Kiew auch ein Signal der "Anerkennung der Eigenstaatlichkeit, Unabhängigkeit und der staatlichen Führung." Es sei wichtig, "dass wir im Rahmen unserer Neutralität der Ukraine sowohl auf humanitärer als auch auf politischer Ebene beistehen." Der Besuch diene auch dazu, "unsere Solidarität" mit der ukrainischen Bevölkerung zu zeigen.

Nehammer äußert sich zum Krieg

"Was in der Ukraine und im Besonderen in vielen Städten der Ukraine geschieht, ist ein schrecklicher Angriffskrieg zulasten der Zivilbevölkerung", sagte Nehammer, der einräumt, dass ihn der Krieg "emotional und menschlich" sehr bewege. Das "Prägendste" in seinem bisherigen politischen Leben sei der Terroranschlag in Wien im November 2020 mit vier Toten gewesen. "Ich hätte nicht gedacht, das etwas kommt, was das übertrifft." Das sei im Fall des Ukraine-Kriegs aber der Fall.

Die "bekannt gewordenen Kriegsverbrechen" müssten "lückenlos aufgeklärt" werden, forderte der Bundeskanzler, "und zwar von unabhängigen und internationalen Expert/innen." Die für diese Verbrechen Verantwortlichen "müssen und werden" zur Rechenschaft gezogen werden, so Nehammer. "Ich werde mir selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen. Österreich wird weiterhin helfen, wo es kann, diese Hilfsbereitschaft stellen wir sowohl vor Ort, als auch bei der Aufnahme von Vertriebenen aus den Kriegsgebieten unter Beweis. Die Ukraine kann sich auf die freie Welt verlassen."

Erwartungen der Ukraine

Die Ukraine hofft anlässlich des Besuchs Nehammers auch auf eine konstruktive Rolle Österreichs bei aktuellen Sanktionsfragen in Bezug auf Russland sowie ein aktives Engagement beim Wiederaufbau des Landes. Das betonte der ukrainische Botschafter in Wien, Wassyl Chymynez (Vasyl Khymynets), in einem Telefonat mit der APA. "Es ist wichtig, dass der Bundeskanzler vor Ort in Kyjiw ist, und macht deutlich, dass er auf der Seite der Ukraine steht", erklärte Chymynez. Die Gespräche Nehammers mit Selenskyj seien insbesondere im Zusammenhang mit Erwartungen relevant, dass Österreich eine aktive Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine spielen werde. "Die Bundesregierung und die österreichische Wirtschaft könnten sich hier in vielen Bereichen stark engagieren", betonte der Diplomat.

Am Freitag waren über dieselbe Route EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Außenbeauftragte Josep Borrell sowie der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger und einige EU-Parlamentarier nach Kiew gereist.

Besucher aus dem Westen

Dass die Ukraine derzeit vermehrt Besucher aus dem Westen empfange, solle auch zeigen, dass zumindest in Kiew die Lage einigermaßen ruhig sei, wird in Diplomatenkreisen vermutet. Damit soll auch der Exodus von Teilen der Bevölkerung eingedämmt werden. Seit Kriegsbeginn haben fast 4,5 Millionen von rund 44 Millionen Ukrainern ihr Heimatland verlassen. Etwa 51.000 Geflüchtete sind bisher in Österreich registriert, vor allem Frauen mit Kindern.

Militärexperten zufolge dürfte sich die russische Militärführung bei ihrem ursprünglichen Plan, die Hauptstadt Kiew einzunehmen verschätzt haben. "Man hat nicht mit der Resistenz der Streitkräfte und der Politik gerechnet." Nun würden die russischen Kräfte gesammelt, um rund um die Separatistengebiete im Donbass eine "Entscheidungsschlacht" vorzubereiten.

Ein Zeichen setzen

Die EU-Kommissionspräsidentin sagte der Ukraine am Freitag in Kiew die volle Solidarität der Europäischen Union zu. Gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj betonte von der Leyen: "Ich bin heute mit dir hier in Kiew, um ein deutliches Zeichen zu setzen, dass die Europäische Union an eurer Seite steht." Für den Wunsch der Ukraine nach einem schnellen EU-Beitritt sprach sie die dem Land Mut zu - und versprach Tempo.

Als demonstratives Zeichen wurde unter anderem vereinbart, gut sechs Wochen nach Beginn des Kriegs die Vertretung der Europäischen Union wieder zu öffnen. Als Reaktion auf die Ermordung hunderter Zivilisten in Butscha hatte von der Leyen am Dienstag ein fünftes Sanktionspaket gegen Russland vorgeschlagen. Es enthält unter anderem ein Importverbot für Kohle aus Russland, aber auch weitere Beschränkungen für den Handel mit Russland und ein weitgehendes Einlaufverbot für russische Schiffe in EU-Häfen.

Sanktionen

Einigen Mitgliedstaaten gehen die Sanktionen nicht weit genug. Österreich wiederum steht ebenso wie Deutschland oder Ungarn bei einem in Erwägung gezogenen Importstopp von Gas aus Russland auf der Bremse. Dies wurde auch von Nehammer im Zuge seiner Ukraine-Reise erneut bekräftigt. "Es ist widerlich, dass wir vom russischen Gas abhängig sind, aber das ist keine Kategorie des politischen Denkens." Ein Ausfall der Gaslieferungen hätte für Österreich schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Folgen. Es könnte zu gesellschaftlichen "Verwerfungen" kommen. Daher sei es innerhalb der EU für jene Länder am leichtesten, einen Importstopp zu fordern, die nicht in diesem Ausmaß vom russischen Gas abhängig seien. "Sie sind am lautesten."

Borrell hatte am Freitag zudem angekündigt, 7,5 Millionen Euro für die Ermittlungen zur Verfügung zu stellen, die die Ukraine nach den mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Kiewer Vorstadt Butscha und an anderen Orten - etwa in Stojank und Irpin - durchführt. Russland, das sei seit dem 24. Februar einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland führt, weist die Vorwürfe stets zurück, ohne konkrete Belege vorzulegen.

Angriff auf Bahnhof

Kurz vor der Ankunft der EU-Delegation in Kiew waren am Freitag auf dem Bahnhof der ostukrainischen Stadt Kramatorsk Raketen eingeschlagen und hatten dort rund 50 Menschen getötet, die sich wegen des Krieges in Sicherheit bringen wollten. Darunter waren ukrainischen Angaben zufolge auch fünf Kinder. Moskau wies jegliche Verantwortung von sich. Die USA gehen einem Insider zufolge aber davon aus, dass der Angriff von Russland mit einer ballistischen Kurzstreckenrakete verübt wurde.

(APA)

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