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"Nächster Dalai Lama wird im Ausland geboren"

"Eine Reinkarnation Seiner Heiligkeit kann und wird wahrscheinlich in einem freien Land geboren werden." Dies wäre kein Novum in der Geschichte Tibets, betont der Repräsentant des Dalai Lama in Genf, Tseten Samdup Chhoekyapa.

Es gabe bereits zwei Fälle gegeben, wo das geistliche Oberhaupt der Tibeter im Ausland geboren wurde, nämlich in der Mongolei und in Indien. Die Aufgabe des Dalai Lama sei der Dienst an seinem Volk als politischer und geistlicher Führer. “Die Chinesen wollen aber einen Dalai Lama, der ihren Interessen dient.”

Der Grund für die Flucht des Dalai Lama vor genau 50 Jahren lag genau in dieser Berufung, so der Leiter des Tibet-Büros in Genf: “Er ist geflohen, um dem tibetischen Volk weiter dienen zu können. Das ist die Aufgabe, die er zu erfüllen hat. Warum sollte dann die Reinkarnation im besetzen Tibet geboren werden?” Am 17. März 1959, als die ersten chinesischen Granaten im Garten des Sommerpalastes landeten, floh der damals 24-Jährige aus Lhasa. Drei Tage später wurde der Palast gezielt unter Beschuss genommen; die Chinesen ahnten nicht, dass der Dalai Lama sich längst nicht mehr darin befand.

Auf den Hinweis, dass die chinesische Führung kürzlich wieder den Anspruch erhoben hat, im Todesfall über einen Nachfolger des Dalai Lama zu entscheiden, erklärt Chhoekyapa unter Hinweis auf das Schicksal des von Peking eingesetzten jungen Panchen Lama, diese Gefahr bestehe. “Die Tibeter werden eine solche Wahl aber nicht akzeptieren, weder jene in Tibet noch diejenigen, die im Exil leben.” Viele Tibeter der jüngeren Generation in der angestammten Heimat seien unglücklich über die Situation und wünschten eine Rückkehr des Dalai Lama. Das wäre aber zu gefährlich. Auch die Unruhen vor einem Jahr hätten die Anhänglichkeit der Tibeter an das Oberhaupt im Exil bewiesen.

Der Vertreter der tibetischen Exil-Regierung mit Sitz im indischen Dharamsala zieht ein bitteres Resümee: “Der Preis, den wir Tibeter bezahlen, ist sehr hoch.” Nach den Worten Chhoekyapas sind bei der Besetzung Tibets durch die chinesischen Truppen vor 50 Jahren 1,2 Millionen Tibeter umgekommen. Er selbst hat die Heimat seiner Väter auch nie gesehen. Seine Eltern flüchteten nach Nepal, wo Chhoekyapa in einem Flüchtlingslager aufwuchs. Er habe das Glück gehabt, gute Schulen zu besuchen und später an einer US-Universität zu studieren. “Viele junge Tibeter im Exil haben große Sehnsucht, Tibet zu sehen.”

Es sei natürlich, dass aus dieser Frustration heraus viele junge Tibeter den Sinn der Gewaltlosigkeit gegenüber China anzweifeln. Gewalt wäre jedoch kontraproduktiv. Chhoekyapa: “Gewalt provoziert wiederum Gewalt. Wenn wir Gewalt anwenden, können wir den Chinesen einen Vorwand für ein brutales Vorgehen gegen die Tibeter liefern.” Aus dieser Gefahr heraus habe auch der Dalai Lama klar gemacht, dass er nicht mehr zur Verfügung stünde, sollte das tibetische Volk das Prinzip der Gewaltlosigkeit aufgeben.

Trotz des bisher erfolglosen Dialogs mit der Führung der Volksrepublik China hält die tibetische Exil-Regierung an diesem Kurs fest. Die Tibeter suchen ihre Zukunft nicht in der Unabhängigkeit, sondern in einer “echten Autonomie” von der Volksrepublik China, so der Diplomat. Die tibetische Exil-Regierung habe hierzu keine “hidden agenda” – diesen Vorwurf hat Peking immer wieder erhoben. Tibet habe “eine alte Kultur, Sprache, Religion und Identität” und könne so einen Beitrag für die Welt leisten. “Wir müssen das bewahren.” Wenn das gelinge, könnten die Tibeter auf die Unabhängigkeit verzichten. “Doch die Realität ist: Tibet ist überflutet von Chinesen, Tibet wird zerstört.”

Seit dem Vorjahr habe sich die Situation für die Tibeter in der alten Heimat sehr verschlechtert, so Chhoekyapa. Nach den März-Unruhen und im Vorfeld der Olympischen Spiele wurde das Hochland völlig abgeriegelt und die Militärpräsenz verstärkt. “China hat ein Klima der Angst geschaffen. Auch im 21. Jh. verharre die Volksrepublik noch immer auf der Position, “dass sich Macht vom Kampf und von Gewehren ableitet”. Die umstrittenen Austragung der Spiele in Peking habe für die Tibeter keine positive Veränderung gebracht, doch habe wenigstens “die Sache Tibets große Beachtung gefunden”, meint er unter Hinweis auf die Olympischen Fackelläufe, die an mehreren Orten zu anti-chinesischen Protesten wurden.

“China ist wirtschaftlich und militärisch mächtig, doch es hat keine Legitimität in Tibet”, resümiert der Diplomat. Wenn sie auf die Vorschläge des Dalai Lama einginge, könnte sich die Volksrepublik anderen Problemen zuwenden, von denen es genug zu lösen gäbe. Denn: “Es wird keine Ruhe einkehren, bis China seine Präsenz in Tibet legalisiert hat. Das geht nicht ohne den Dalai Lama.” Besorgnis erregend sei auch der ungebremste Zuzug von Han-Chinesen, die zu Tausenden mit dem “Superzug” ins Hochland kämen. “Die Tibeter wollen nicht im eigenen Land wie Bürger zweiter Klasse leben.”

Wichtig ist den Tibetern in ihrem gewaltlosen Widerstand die internationale Solidarität. Der Diplomat verhehlt seine Enttäuschung über den jüngsten Peking-Besuch der US-Außenministerin Hillary Clinton nicht, die sich dort in Sachen Tibet völlig bedeckt gehalten hatte. Der US-Kongress habe dagegen mit einer Resolution ein ermutigendes Signal gesetzt. US-Präsident Barack Obama habe im Wahlkampf ein Telefonat mit dem Dalai Lama geführt. Europa könnte für Tibet mehr tun, sagt Chhoekyapa, zugleich erwähnt er aber lobend die Einladung des Dalai Lama im Europa-Parlament und den Empfang in mehreren EU-Staaten. Er war zum Abschluss der Tibetischen Film-Wochen im Schikaneder-Kino nach Wien gekommen.

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