AA

Nationalrat: Kassenreform wird zur emotionalen Debatte

Im Nationalrat wurde es heute emotional.
Im Nationalrat wurde es heute emotional. ©APA/GEORG HOCHMUTH
Die Reform der Krankenkasse sorgte am Donnerstag für eine heiße Debatte im Nationalrat. Es wurden zahlreiche Taferl hochgehalten.

Die Reform der Krankenkassen hat am Donnerstag zu einer emotionalen und höchst kontroversiellen Debatte im Nationalrat geführt, die von zahlreichen Taferlaktionen begleitet war. Die SPÖ hält die heute zu beschließenden Strukturmaßnahmen für brandgefährlich, während die Koalition die Österreicher als Gewinner sieht. NEOS und Liste Jetzt orten bloß eine Umfärbung.

Kassenreform: Kritik kommt von Opposition

SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner bestritt, dass mit der Reform die Sozialversicherung schlanker werde, wie dies von ÖVP und FPÖ behauptet wird. Vielmehr werde mit der Österreichischen Gesundheitskasse eine zusätzliche Verwaltungsebene eingezogen, die als einziges Ziel eine neue Machtstruktur habe.

Darauf baute auch die Kritik von NEOS-Klubchefin Beate Meinl-Reisinger auf, die von der Reform als “Augenauswischerei” und “Pflanz” sprach. Denn der heutige Beschluss bringe nur türkisen und blauen Funktionären etwas und sonst niemandem. Die Versicherten würden keine besseren Leistungen haben, auch nicht mehr Kassenärzte. Zudem bleibe die ÖVP-Klientel wie Beamte und Bauern ausgeklammert.

Eine Aushebelung der Selbstverwaltung will Liste Jetzt (vormals Pilz)-Mandatarin Daniela Holzinger im Gesetzesvorschlag erkennen. Sie plädierte vielmehr dafür, mittels Sozialwahl die Positionen in der Sozialversicherung zu bestimmen. Denn den Patienten bringe es nicht, wenn die Funktionäre einfach per Gesetz farblich ausgetauscht würden.

Rendi-Wagner fürchtet noch viel schlimmeres. Nach der von der SPÖ vermuteten Umfärbung in den Gremien würden Selbstbehalte, Ambulanzgebühren und Leistungseinschränkungen folgen, mutmaßte die SPÖ-Chefin. So sei der heutige Beschluss auch “brandgefährlich”. Die Gesundheitsfinanzierung werde aufs Spiel gesetzt.

Hartinger-Klein: “Denkwürdiger Tag”

“Heute ist ein denkwürdiger Tag, wir schreiben Geschichte”, jubelte hingegen Sozialministerin Beate Hartinger (FPÖ) über “die größte Reform der Zweiten Republik”, um gleich zu versichern, dass ihr Ziel immer gewesen sei, die Sozialversicherung für die Versicherten zu reformieren. Die einzigen Verlierer jetzt seien die Funktionäre: “Bei uns steht der Patient im Mittelpunkt und nicht der Funktionär.”

Schärfer formulierte Hartingers Parteifreundin Dagmar Belakowitsch. In Richtung Gewerkschaft bzw. SPÖ-Klub meinte sie: “Ich bin ja schon froh, dass sie heute nicht mit dem Pflasterstein gekommen sind.” Die Kassen-Funktionäre sollten nicht auf die Straße gehen sondern die Patienten behandeln, meinte die freiheitliche Abgeordnete mit Blick auf die gestrigen Proteste der Wiener und der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse. Warum demonstriert wird, ist für Belakowitsch klar: “Die roten Bonzen sind die Verlierer.”

Auch VP-Klubobmann August Wöginger klagte an, dass bisher die SPÖ-Gewerkschafter jede Strukturreform verhindert hätten. Die Menschen hätten aber nichts davon, wenn Funktionäre ihre Gelder “verbraten”. Nun mache man eine Reform, aus der Geld überbleibe, das man für kürzere Wartezeiten in den Ambulanzen und mehr Fachärzte im ländlichen Raum verwenden könne. Zurückgewiesen wurden die SPÖ-Behauptungen, dass Einschnitte für die Patienten unmittelbar bevorstünden: “Wir schließen keine Einrichtungen und kürzen auch keine Leistungen.”

Verfassungsklage des Seniorenrates fix

Die Verfassungsklage des Seniorenrates gegen die heute im Nationalrat beschlossene Reform der Sozialversicherungen ist jetzt fix. Einen entsprechenden Beschluss hat die überparteiliche Vertretung der Senioren gefasst, teilten die beiden Präsidenten Ingrid Korosec (ÖVP) und Peter Kostelka (SPÖ) am Donnerstag in einer Pressekonferenz mit.

Dass der Seniorenrat als gesetzliche Interessensvertretung in den neu zu bildenden Gremien in den Sozialversicherungen auch nach der Reform nicht vertreten sein wird, ist für Korosec und Kostelka eine Diskriminierung. Wenn ein Viertel der Versicherten, die ein Drittel der Beiträge zahlen, von der Mitbestimmung ausgeschlossen werde, dann sei das “ein glatter Fall von Altersdiskriminierung”, sagte der Präsident des SPÖ-Pensionistenverbandes. “Wer zahlt, schafft an, oder wer zahlt, hat Anspruch auf Mitbestimmung”, formulierte es die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes.

Die zuletzt noch angekündigte Beauftragung eines Verfassungsgutachtens wird es nicht mehr geben. Man werde nur noch mit Verfassungsexperten klären, auf welchem Wege die Klage eingebracht wird. Kostelka erklärte dazu, es werde “juristisch kein ganz einfacher Weg”, voraussichtlich werden aber die beiden Präsidenten des Seniorenrates einen Individualantrag einbringen.

Finanzierung des Pflegesystems: Keine Einigung

Nicht ganz einig sind sich die beiden Präsidenten über die künftige Finanzierung des Pflegesystems. Während zwar auch Korosec eine Steuerfinanzierung präferiert, sich aber für die Zukunft noch nicht festlegen und auch Alternativen diskutieren will, ist für Kostelka die Forderung nach einer Steuerfinanzierung schon fix. Er verwies auf einen im Vorjahr einstimmig beschlossenen Leitantrag des Seniorenrates mit einem klaren Bekenntnis zur Steuerfinanzierung. “Das ist Beschlusslage, darauf beharren wir.”

Einig sind sich die beiden hingegen in der Unterstützung des Zieles der Regierung, dass die Pflege wenn möglich “daheim statt im Heim” stattfinden soll und in der Forderung nach einer kräftigeren Anhebung des Pflegegeldes. Beide fordern eine echte Valorisierung in allen Stufen des Pflegegeldes, das seit seiner Einführung rund ein Drittel des Wertes verloren hat. Dass die Regierung nur eine Erhöhung ab der Stufe vier um ein Prozent ab 2020 in Aussicht gestellt hat, ist für Kostelka “nicht nur ärmlich, sondern schändlich”. Er hofft, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, weil Menschen damit Schritt für Schritt in die Altersarmut abrutschen würden.

Bei der 24-Stunden-Betreuung forderte Korosec, dass das Gütesiegel für alle gelten und auch ausländische Agenturen einbinden müsse. Andenken will sie auch die Möglichkeit, dass eine Betreuerin auch zwei, höchstens drei Personen versorgen kann. Nicht verknüpfen will sie die Pflege mit der Indexierung der Familienbeihilfe. Korosec verwies darauf, dass rund die Hälfte der aus dem Ausland kommenden Betreuerinnen keine Kinder haben, deshalb wäre es sinnvoller, ihnen mehr zu bezahlen. Die derzeitige Förderhöhe von maximal 550 Euro für selbstständige Betreuerinnen bzw. von maximal 1.100 Euro für unselbstständige pro Monat sollte angehoben werden. Kostelka verwies darauf, dass die EU-rechtliche Prüfung ein “sehr vermintes Gebiet” sei.

Für künftige Pensionsanpassungen hat der Seniorenrat eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese soll nun Vorschläge erarbeiten, die künftig über eine bloße Abgeltung der errechneten Inflation nach dem Verbraucherpreisindex hinausgeht. Von der Regierung habe man die Zusage erhalten, ab dem kommenden Jahr wieder vor einem Beschluss rechtzeitig in Gespräche eingebunden zu werden.

Hauptverbandschef Biach sieht Verbesserungen

Verbesserungen gegenüber den ersten Plänen der türkis-blauen Regierung sieht der derzeitige Vorsitzende des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach, in der am Donnerstag beschlossenen Sozialversicherungsreform. “Das Bohren dicker Bretter hat sich ausgezahlt”, sagte Biach.”Nach über einem Jahr an Gesprächen können wir sagen, die Sozialversicherung bleibt selbstverwaltet, hat Beitragshoheit, bietet eine allgemeine Unfallversicherungsanstalt und hat einen starken Dachverband mit einer fixen Führungsstruktur”, so Biach. “Die Streichung des Rotationsprinzips im Dachverband war eine kluge und erfolgsentscheidende Verbesserung. Ich bin froh, dass unser Verbesserungsvorschlag aufgegriffen wurde.”

Biach lobt Doppelspitze beim Dachverband

Das nun geplante Modell der Doppelspitze beim Dachverband, der die bisherige Struktur des Hauptverbands ablösen soll, werde dafür sorgen, “dass Kontinuität und professionelles Management die Sozialversicherung auf sicherem Reformkurs halten”, erklärte der Hauptverbandschef. Er stehe weiterhin zu einer Reform, die das System schlanker, leistungsfähiger und vor allem kundenorientierter macht.

Begrüßt wurde das Sozialversicherungspaket auch von Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf. “Die Sozialversicherungsreform bringt mit nur fünf statt 21 Trägern deutlich schlankere Strukturen, mehr Effizienz im Sinne der Versicherten und stellt gleichzeitig einen ersten wichtigen Schritt in Richtung Lohnnebenkostensenkung dar”, so Kopf. Auch die zuletzt von den Sozialpartnern ausverhandelte und noch geänderte Führung im Dachverband, sei im Sinne der Versicherten.

Gewerkschaft der Privatangestellten zeigt sich kritisch

Kritik kam indes von der Gewerkschaft der Privatangestellten. “Bei der Kassenfusion geht es der Regierung um Macht und Posten für die Wirtschaft und nicht um das Wohl der Patientinnen und Patienten”, erklärte GPA-Vorsitzende Barbara Teiber. “Kranke Menschen müssen Leistungskürzungen oder gar allgemeine Selbstbehalte befürchten. Die Machtverschiebung in der Sozialversicherung zugunsten der Wirtschaft wird nur für die private Versicherungsindustrie Vorteile bringen”, so Teiber.

(APA/Red)

  • VIENNA.AT
  • Österreich
  • Nationalrat: Kassenreform wird zur emotionalen Debatte
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen