Nachtgastronomen fordern "sofortigen Fall der Coronasperrstunde"

Zuletzt hat es immer mehr Lockerungen von Coronaregeln gegeben. Doch die Nachtklubs haben immer noch keine Perspektive, wie es mit ihnen weiter geht. Deren Vertreter fordern immer vehementer einen Aufsperrplan ein. Die Branche fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen, manch ein Unternehmer sogar "papierlt".
Nachtgastronomen fühlen sich von Regierung im Stich gelassen
"Jeden Tag gibt es in ganz Österreich 'illegale' Partys und wir dürfen nicht aufmachen", kritisiert der Sprecher des Verbands der österreichischen Nachtgastronomen, Stefan Ratzenberger. "Auch ein Partytourismus startet bereits - etwa in die Slowakei. Dort darf bis 4 Uhr früh offen sein, in der Schweiz bis 6 Uhr."
So starten ab Wien bereits günstige Busse nach Bratislava, die Partytiger nach der Sperrstunde auch wieder zurückbringen, so Ratzenberger. Grundsätzlich wollen die Nachtgastronomen, dass sie wie vor Corona wieder aufsperren dürfen, "den sofortigen Fall der Coronasperrstunde". Die jetzige Sperrstunde von 1 Uhr in der Früh sei "wirtschaftlich nicht darstellbar. Viele haben Betriebsstättengenehmigungen ab 22 Uhr", so Ratzenberger im Gespräch mit der APA.
Nachgastronomen würden einen Kompromiss eingehen
Die Nachtgastronomen würden aber auch einen Kompromiss eingehen: "Wir würden uns verpflichten, gestaffelt aufzusperren und ein Covid-19-Paket umzusetzen", sagt deren Sprecher. Ab 1. August würde man mit 50 Prozent der eigentlichen Gästehöchstzahl starten und bis 4 Uhr öffnen, ab 1. September mit 75 Prozent der Gäste und bis 6 Uhr und ab 1. Oktober sollte wieder Normalbetrieb (100 Prozent der Gäste bis 6 Uhr in der Früh) herrschen, so Ratzenberger.
Darüber hinaus würden die Discobetreiber und Co am Eingang - auf freiwilliger Basis - E-Mail-Adressen sammeln: "Wenn etwa die Hälfte der Gäste - auch mit anonymen E-Mail-Adressen, ohne Telefonnummern, Namen oder Wohndressen - darauf eingehen würde, könnte man gut informieren, falls etwas geschieht. Denn die Leute würden sich sicher auch untereinander weiterinformieren", so der Nachtklub-Sprecher. "Nach etwa drei Wochen - Stichwort Inkubationszeit - würden wir die Listen wieder löschen."
Dazu würde man "Coronabeauftragte" in den Betrieben installieren, die auf die Hygienevorschriften für die Mitarbeiter achten und Desinfektionsmittel zur Verfügung stellen. "Mundschutz auf der Tanzfläche geht nicht", so Ratzenberger. "Da fallen uns die Leute um."
Nachgastronomen haben sich an Anschober und Köstinger gewandt
Die Nachtgastronomen argumentieren auch mit "illegalen Partys" und Menschenansammlungen etwa am Wiener Donaukanal, bei der Mur in Graz oder auf dem Rudolfskai in Salzburg. "Da kann man überhaupt nichts nachvollziehen, wenn es einen Ausbruch gibt." Ihre Wünsche haben sie beim Gesundheitsministerium von Rudolf Anschober (Grüne) und beim Tourismusministerium von Elisabeth Köstinger (ÖVP) deponiert, so Ratzenberger.
Die Stimmung in der Branche ist denkbar schlecht. "Es ist nur mehr eine Farce", sagt etwa Martin Ridler vom Innsbrucker "Tante Emma"-Club zur APA in Richtung der Politik. Man fühle sich von der Regierung im Stich gelassen, ja sogar "papierlt".
Dass es nun bald eine "Hintertüre" mit geschlossenen Veranstaltungen für 100 Leute ohne Coronasperrstunde gibt, könne von kleinen Klubs zwar genutzt werden, so der Nachtklubsprecher. 72 Stunden vorher muss eine solche Feier - gedacht etwa für Hochzeiten - mit der Gästezahl angemeldet werden. "Wir wollen uns aber nicht auf eine Rechtslücke stützen, um die Nachtgastronomie wieder hochzufahren. Wir erwarten uns ein Bekenntnis der Bundesregierung zu Nachtgastronomie", verweist Ratzenberger auf die wirtschaftliche Bedeutung der Branche.
ÖVP spielt Ball an grünen Regierungspartner weiter
Wann Discos und andere Firmen der Nachtgastronomie wieder eine spätere, für sie praktikable Sperrstunde bekommen, ist am Freitagvormittag weiter offen geblieben. "Diese Frage muss ich mitnehmen, mit dem Gesundheitsminister (Rudolf Anschober/Grüne) sprechen, mich genau erkundigen", sagte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) dazu bei einer Pressekonferenz.
Derzeit gilt eine Coronasperrstunde um 1 Uhr in der Früh. Diese Sperrstunde ist für Nachtklubs "nicht wirtschaftlich darstellbar. Viele haben Betriebsstättengenehmigungen ab 22 Uhr", sagte der Sprecher des Verbands der österreichischen Nachtgastronomen, Stefan Ratzenberger zuvor zur APA. Verwunderung herrscht zum Teil auch deswegen, weil Prostitution ab 1. Juli wieder erlaubt ist, die Nachtgastronomie vorerst aber weiterhin keine Öffnungsperspektive hat.
Gesundheitsministerium: Plan bis Ende nächster Woche
Das Gesundheitsministerium von Rudolf Anschober (Grüne) hat erstmals einen Zielzeitpunkt genannt, wann ein "Paket mit Lösungsvorschlägen" für die Nachtgastronomie präsentiert wird. Es soll "bis Ende nächster Woche" so weit sein, hieß es am Freitag auf Anfrage der APA. Zuvor war Kritik von Nachtgastronomen gekommen, die sich im Stich gelassen fühlen.
Es gehe um einen "pragmatischen Weg in Balance mit dem Gesundheitsschutz", hieß es aus dem Gesundheitsministerium. "Dazu werden aktuell auch internationale Modelle geprüft."
Nachtgastro soll bald Lösung haben: SPÖ befragt Kurz
Das grüne Gesundheitsministerium will der Nachtgastronomie bis Ende kommender Woche eine Öffnungsperspektive bieten. Die Betreiber warten bisher vergeblich auf eine solche und kritisieren das oft hart. Indes bringt die SPÖ heute noch eine parlamentarische Anfrage an Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dazu ein. Dabei geht es auch um den Discobetreiber und angeblichen Kurz-Vertrauten Martin Ho.
Denn dieser hat vor rund zwei Wochen in einem Zeitungsinterview ("Kurier") davon gesprochen, dass "mittlerweile ein interner Regierungskampf Gesundheitsministerium gegen Tourismusministerium (ÖVP, Anm.)" entstanden sei, in dem es darum gehe "wann und wie die Klubs geöffnet werden könnten". Weiters stört die SPÖ, dass Ho davon spricht, in einer Expertengruppe mit anderen Nachtgastronomen zu sein, die gewisse Vorschläge einbringt und ob man womöglich "nur Gäste in den Klub" lässt, "die die Corona-App haben".
SPÖ will Vorgänge aufklären
"Dieses Hick-Hack zwischen den Ministerien ist die Fortsetzung des chaotischen Krisenmanagements", sagte der rote Gesundheitssprecher Philip Kucher gegenüber der APA. "Offensichtlich ist inzwischen sogar den Regierungsmitgliedern selbst nicht mehr klar, wer warum welche Entscheidungen trifft. Die Anzahl und die Mitglieder der Expertenstäbe wird immer undurchsichtiger. Nach eigenen Angaben ist inzwischen sogar Kurz-Freund Martin Ho einer der Corona-Experten der Regierung. Diese Vorgänge wollen wir in Form einer parlamentarischen Anfrage an den Kanzler aufklären."
Die Regierung finde keinen klaren Kurs zwischen gesundheitspolitisch sinnvollen und ökonomisch notwendigen Maßnahmen, kritisiert Kucher. "Vieles wird verschleppt, unprofessionell umgesetzt oder absichtlich verzögert." Der Oppositionspolitiker wirft ÖVP und Grünen vor allem bei der Abfederung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieser Krise "Versagen" vor.
In der Anfrage, die der APA vorab vorlag, hinterfragen die Sozialdemokraten unter anderem: "Wie viele offizielle und/oder inoffizielle bis informelle Beratungsgremien oder -Kreise, Task-Forces oder formlose Runden in denen sich mit möglichen unterschiedlichen Herausforderungen der Pandemie auseinandergesetzt wird gibt es innerhalb der Bundesregierung?" Und: "Wo sind diese jeweils angesiedelt?", bzw. wer die jeweils konkreten Mitglieder sind.
SPÖ will Aussagen von Martin Ho hinterfragen
Die Sozialdemokraten wollen auch wissen, ob und wem Ho und andere Nachtgastronomen vorgeschlagen haben, nur Gäste mit Corona-App in Nachtklubs einzulassen und worum es beim "angeblichen Regierungskampf" geht. Die SPÖ spielt in der Anfrage an Kurz mit dem Titel "Ho und Co. - sind das Ihre geheimen ExpertInnen?" auch mehrmals auf eine aufgeflogene "Corona-Party" in einem von Hos Lokalen an. Am Schluss fragt Kucher in Anspielung auf andere Ausführungen von Ho, wonach er von der Party nichts gewusst haben will, weil er schon geschlafen habe, den Bundeskanzler: "Waren Sie selbst bei der Party am 1. Mai 2020 oder waren Sie auch 'schon im Bett'?"
(APA/Red)