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Nach "Justizpanne": Wiener U-Häftlinge oft tagelang ohne Anwalt

Dass U-Häftlinge in Wien tagelang ohne anwaltliche Vertretung in ihren Zellen sitzen, ist offenbar keine Ausnahme. Das ergaben Recherchen der APA. Namhafte Strafverteidiger sprechen sogar von "gängiger Praxis".

Der 39-jährige Mann, der fälschlicherweise als Drogenhändler angeklagt wurde, ehe sich am vergangenen Dienstag in der Hauptverhandlung herausstellte, dass er im Tatzeitraum im Gefängnis gesessen war, war am 8. Juli festgenommen worden. Am 10. Juli wurde ihm die Anklageschrift kundgemacht und zugleich die U-Haft verhängt. Erst am 16. Juli wurde ein Verfahrenshelfer bestellt, da die richterliche Bewilligung einer solchen erst an diesem Tag bei der Anwaltskammer eingetroffen war.

Bis der Mann tatsächlich mit einem rechtskundigen Beistand sprechen konnte, vergingen weitere Tage: Der ursprünglich als Verfahrenshelfer vorgesehene Anwalt war kein Strafrechtler, er trat den Fall daher an einen Spezialisten ab. Während dieses Zeitraums hatte der anwaltlich nicht vertretene Verdächtige – naturgemäß ein juristischer Laie – einen Einspruchsverzicht gegen die Anklageschrift abgegeben, obwohl diese zum Teil schlicht und einfach falsch war, wie sich im weiteren Verlauf herausstellte.

“So etwas kommt heutzutage öfters vor”, hieß es von mehreren erfahrenen Anwälten auf APA-Anfrage. Schuld daran sei, dass mit der Reform der Strafprozessordnung (StPO) das Institut der Pflichtverteidigung abgeschafft wurde: Während früher die Richter anlässlich der Verhängung von U-Haften aus einem überschaubaren Pool von auf Strafrecht spezialisierten Anwälten wählen und rasch einen Rechtsvertreter bestimmen konnten, der einen Verdächtigen in den ersten 14 Tagen bis zur ersten Haftprüfung zu betreuen hatte, sei das nunmehrige System “schwerfälliger” und “defizitär”.

Im Justizministerium weist man diese Darstellung zurück. Die StPO-Reform habe im Gegenteil die Beschuldigtenrechte im Vorverfahren gestärkt, betonte Friedrich Alexander König, Referent in Strafrechtssachen. Das Beweisantragsrecht sei ebenso verankert worden wie der anwaltliche Journaldienst, der unter Tatverdacht Geratenen die Möglichkeit garantieren soll, bereits unmittelbar nach der Festnahme einen Rechtsanwalt beiziehen zu können.

“Im Vergleich zur vorherigen Rechtslage ist das ein Quantensprung”, so Wolfgang Bogensberger, seit vergangenem September Sektionschef für die Straflegislative. Kritik an der neuen StPO sei daher “nicht nachvollziehbar”. In Wahrheit sei es früher üblich gewesen, dass Pflichtverteidiger zur ersten Haftprüfung – diese findet 14 Tage nach Verhängung der U-Haft statt – erschienen, ohne bis dahin mit dem Häftling persönlichen Kontakt gehabt zu haben.

Die Rechtsanwaltskammer dementiert diese Sicht der Dinge. “Die Pflichtverteidigung hätte ausgeweitet und nicht abgeschafft werden müssen”, meinte Elisabeth Rech, Vizepräsidentin der Wiener Anwaltskammer.

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