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Musikexperte Tschürtz über die "tektonische Veränderung" am Musikmarkt

Am Musikmarkt verändert sich einiges, so Musikexperte Tschürtz.
Am Musikmarkt verändert sich einiges, so Musikexperte Tschürtz. ©Pixabay.com (Sujet)
Im Popjahr 2017 hat sich einiges getan: Als Gewinner gelten im heurigen Jahr Kendrick Lamar, Taylor Swift, Wanda und Bilderbuch. Aber nicht nur bei den Musikern, sondern auch bei den Hörern ändert sich vieles. Monatlich nimmt der digitale Medienkonsum zu, während klassische Tonträger bis auf Ausnahmen einen schweren Stand haben. Musikexperte Hannes Tschürtz spricht von einer "tektonischen Veränderung".

APA: Was waren aus Ihrer Sicht die wesentlichen Entwicklung am Popsektor 2017?

Hannes Tschürtz: Wir stehen mitten drin in der Entwicklung, mit der sich der Shift zum Streaming hin wirklich niederschlägt. Das Konsumverhalten wird dadurch nicht nur mehr, sondern ändert sich signifikant. Insbesondere wie und in welcher Art und Weise junge Menschen Musik hören. Auf dem internationalen Markt wird extrem darauf geschaut, dorthin zu produzieren, damit man – vereinfacht gesagt – in eine Spotify-Playlist passt. Vor einer Generation ist es noch darum gegangen, ins Radio zu kommen. Das ist wirklich eine tektonische Veränderung.

APA: Sehen Sie das auch am österreichischen Markt so?

Tschürtz: Ja, in bestimmten Zielgruppen hat sich das komplett umgedreht. Es gibt aber auch Bands, wo tatsächlich wieder viel Vinyl gekauft wird, gleichzeitig werden bei anderen immer noch mehrheitlich CDs gekauft. Ähnlich ist es bei Streams auch – es gibt Bands, die klassische Streamingbands sind. Aber in Summe merkt man, dass dieser Shift endgültig in der breiten Bevölkerung angekommen ist. Das war vor drei, vier Jahren noch nicht so.

APA: Schwindet dadurch die Bedeutung von Radiopräsenz für die Künstler?

Tschürtz: Die Bedeutung des Radios verändert sich auch gerade dramatisch. Aber es wird nicht bedeutungslos werden. Für mich zählt da auch der qualitative Hörer. Durch das Streaming ist einfach noch ein Fragment hinzugekommen im Markt, womit die Beurteilung der Größe einer Band schwieriger geworden ist. Den Faktor, den das Radio dabei gespielt hat, gibt es so nicht mehr. Es ist aber schon noch relevant.

APA: Wie müssen Musiker damit umgehen?

Tschürtz: Du musst die Werkzeuge nutzen, die da sind. So etwas wie Spotify ist für uns natürlich extrem spannend, weil es in der Datenanalyse viel möglich macht. Durch die Digitalisierung ist auf den Punkt genau nachvollziehbar, wer wann wo was gemacht hat. Du musst wesentlich tiefer hineingraben und kreativer arbeiten wenn es darum geht, die richtigen Leute zu finden und zu bedienen mit deiner Musik. Es ist nicht damit getan, dass der Künstler eine gute Platte macht und sagt: Da habt ihr’s. Die moderne Arbeit von Label, Management und so weiter ist, diese Tools beständig zu beobachten, beständig dazu zu lernen, wie sie funktionieren, und dann möglichst gut zu bedienen. Als Künstler musst du umgekehrt auch immer mehr wissen und können.

APA: Das bedeutet ja, dass beide System parallel bedient werden müssen.

Tschürtz: Ja. Das Krasse ist ja auch, dass sich diese beiden Systeme massiv widersprechen. Die Logiken der alten Systematik funktionieren in der neuen überhaupt nicht und umgekehrt. Das macht es schon herausfordernd.

APA: Verschwimmen durch Anbieter wie Spotify der nationale und internationale Markt?

Tschürtz: Ja und Nein. Dadurch, dass Spotify in Berlin sitzt und in gewissen Zielgruppen extrem wichtig ist, musst du auf jeden Fall den deutschen Markt gleich mitdenken. Wenn du dann gute Zahlen hast, bedeutet das aber nicht zwingend, dass die Band bekannt ist. Diese Parameter richtig einzuordnen ist etwas, was wir gerade zu begreifen lernen. Aber im deutschsprachigen Raum lösen sich die Grenzen nach und nach tatsächlich immer mehr auf. Trotzdem ist der Heimatmarkt extrem wichtig. In Österreich kommst du relativ rasch zumindest auf ein bestimmtes Level, wenn du ordentlich arbeitest und gut bist. Die Krux ist, dass es nicht reicht, tatsächlich davon zu leben. Aber dieses Niveau international zu erreichen, ist eine monströse Aufgabe.

APA: Ist die Stärke von Spotify ein Vor- oder Nachteil für die Branche?

Tschürtz: Ein bisschen beides. Die Marktmacht kennt man von iTunes, Amazon oder Facebook. Du bist auf Gedeih und Verderb dem einen Partner ausgeliefert. Letztlich ist es aber auch eine Frage, wie du mit diesem Tool arbeitest, das du da hast.

APA: Wohin geht aus Ihrer Sicht die Reise in den kommenden Jahren?

Tschürtz: Es ist völlig unseriös und unmöglich zu sagen, was in zehn Jahren sein wird. Ich bin mir sicher, dass neue und adaptierte Formate kommen werden und dass Streaming nicht der Endpunkt sein wird. Aber mir fehlt ein bisschen die Vorstellung, was es sein kann. Ich habe ein bisschen Sorge, dass das Algorithmus-Ding so weit überhandnehmen wird, dass die menschliche Komponente beziehungsweise Wertigkeitskomponente vollkommen verschwindet. Künstliche Intelligenz wird definitiv Musik machen wird und das sehr bald – angepasst für Spotify. Was das gesellschaftlich und kulturell insgesamt bedeuten wird, das beschäftigt mich aus einer philosophischen Perspektive eher als aus einer geschäftlichen. Aber ich glaube, es wird sich extrem viel tun.

(APA/Red)

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