(Kommentar / Nussbaumer)
Fensterplätze waren in meiner Schulzeit heiß begehrt: Du sitzt im Schulbus, hast die Jacke ausgezogen und zwischen Scheibe und Kopf gepresst. Zwei Kollegen schreiben neben dir mit müden Augen ihre Hausaufgaben auf der schnallenlosen Seite ihrer Tornister ab. Hörst sie leise reden und das rhythmische Rattern des Motors und das gelegentliche Zischen der hydraulischen Tür, wenn die Kameraden zusteigen. Die Monotonie des Morgens. Und manchmal schläfst du ein und wachst auf mit einem nassen Finger in deinem Ohr.
Zwanzig Minuten später sitzt du dann eingereiht unter den grellen Rasterlampen und starrst auf die aufgeschlagenen Bücher. Bis zur nächsten Pause kaum ein Wort. Die Schule fing immer zu früh an – doch kann etwas rechtzeitig beginnen, auf das man sowieso keine Lust hat?
Meine Freunde und ich – wir sind alle den eintönigen Linoleumboden entlang zu unseren Holzstühlen geschlurft, niemand von uns konnte sich in diesen Jahren für Mathematik begeistern. Und wenn, dann hätten wir es nie zugegeben. Meine Motivation ging selten über die hübsche Sitznachbarin oder das Kicken auf dem Pausenhof hinaus. Doch wenn du neben der grundsätzlichen Unmotiviertheit noch Müdigkeit verspürst, wird dich die nächste Textaufgabe erst recht nicht vom Hocker hauen.
"Zehn Uhr wäre mein Traum"
Der Chronobiologe Achim Kramer von der Berliner Charité warnt, dass der frühe Schulbeginn Heranwachsende krank mache. „Zehn Uhr wäre mein Traum“, sagt er gegenüber „Focus.de“. Für 80 bis 90 Prozent der Schüler sei acht Uhr schlicht zu früh. Die Folge: Sie verlieren Schlaf – und erhöhen ihr Risiko für Stoffwechsel-, Konzentrationsprobleme und Übergewicht.
Für Grundschüler sei das Büffeln ab 8 Uhr kein Problem. Aber von der siebten bis zur neunten Klasse sollte der Schulbeginn auf 9 Uhr verschoben werden. Für die Oberstufe wäre dann 10 Uhr ideal. Er erklärt, dass neben Vererbung und Geschlecht ein dritter Faktor bestimmt, ob ein Mensch zu den Lerchen (Frühtypen) oder Eulen (Spättypen) gehört: Das Alter. Kinder zählen dabei eher zu den Frühtypen, während Teenager als Spättypen morgens wesentlich länger schlafen würden. Ab etwa 20 Jahren würde sich die innere Uhr wieder auf einen Normaltyp dazwischen einpendeln.
Flexibler Unterrichtsbeginn
An einem Gymnasium bei Aachen (Deutschland) können Schüler in der Oberstufe selbst entscheiden, ob sie regulär zur ersten Stunde erscheinen oder erst zur zweiten Stunde kommen. Diese Freiheit wurde von den Schülern relativ wenig genutzt – sie verpassten die erste Stunde durchschnittlich nur zweimal die Woche. Sie schliefen an jenen Tagen eine Stunde länger und waren – trotz der nur geringen Veränderung – zufrieden mit dem Modell und berichteten, besser geschlafen zu haben.
„Vielleicht reicht schon die Möglichkeit, frei entscheiden zu können und nicht dem Diktat des Weckers ausgeliefert zu sein, um viele Knoten zu lösen“, wird Eva Winnebeck, Chronobiologin von der Ludwig-Maximilians-Universität auf „aponet.de“ zitiert.
Wie stehen Sie zu einem späteren Unterrichtsbeginn? Und wäre Ihre Antwort als Schüler eine andere als heute?
(Red.)