Motor bin ich selbst: Buch über 200 Jahre Radfahren in Wien

“200 Jahre Radfahren in Wien” heißt es im Untertitel des anlässlich der Fahrradkonferenz Velo-City erschienenen Sammelbandes. Tatsächlich war das Radfahren auf den öffentlichen Straßen der Stadt bis Ende des 19. Jahrhunderts – wenn nicht überhaupt verboten – nur nach Ablegung einer Fahrprüfung und Lösen eines jährlich zu erneuernden Erlaubnisscheins gestattet, schreibt etwa der Historiker und Journalist Bernhard Hachleitner in seinem Beitrag.
Die Geschichte des Radfahrens in Wien
Immerhin: Arthur Schnitzler radelte zu seinen Patienten. Im Stadtbild war das Rad um 1900 dennoch kaum präsent. Dass Wien auch später nie eine Fahrradstadt war, betont der im Wien Museum tätige Historiker Sandor Bekesi. Die Vernachlässigung als innerstädtisches Alltagsfahrzeug habe eine lange Tradition: “Selbst die systematische Radverkehrsplanung oder -förderung seit 1980 fiel eher bescheiden und halbherzig aus.”
Das Wetter, die hügelige Topografie oder das berüchtigte Kopfsteinpflaster lässt er als Ursachen nicht gelten. Relevanter seien Faktoren wie die Siedlungsdichte (was Fußwege förderte) und die Armut nach dem Ersten Weltkrieg (Räder waren zu teuer), so Bekesi. Und auch die Rolle der stadtpolitischen Hegemonie der Sozialdemokraten hebt er hervor. Sie machten Wien lieber zur “Straßenbahnstadt”.
Fahrradfahrer als “Störfaktor”
Die individuelle Fortbewegung per Rad wurde im Roten Wien als subversiver Störfaktor abgelehnt, lautet die These – auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Motorisierung der Arbeiter und die Planung der “autogerechten Stadt” im Mittelpunkt stand. “Geh mit der Zeit, komm zur SPÖ”, stand da etwa auf einem Plakat des Jahres 1958, auf dem ein Paar per Motorroller – sie mit rotem Nelkenstrauß in der Hand – elegant einen Hochradfahrer überholt.
Fahrrad in Wien etabliert
Trotz aller Hürden haben sich das Fahrrad und seine Nutzer in den vergangenen fast 200 Jahren in vielfältiger Weise ins Stadtbild eingeschrieben, meinen die Herausgeber. Sie schlagen den Bogen von den adeligen Hochradfahrern im Prater über den Radsport-Helden und illegalen Nazi Ferry Dusika bis zu den radelnden Ordnern sozialdemokratischer Massenveranstaltungen und von den Zielankünften großer Radrennen bis zum aktuellen urbanen Zwist zwischen Auto- und Radfahrern.
Infos zum Buch
Das Buch versammelt Beiträge von 21 Autoren und Abbildungen aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Exponate aus der Plakatsammlung der Wienbibliothek zeigen das Fahrrad nicht nur als Fortbewegungsmittel, Freizeitaccessoire und Sportgerät, sondern ebenso als High-Tech-Vehikel, Autoersatz oder Mittel der politischen Agitation. (APA)
Buch-Tipp: “Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien”, herausgegeben von Bernhard Hachleitner, Matthias Marschik, Rudolf Müllner und Michael Zappe, Wien 2013. Metroverlag, 190 Seiten, Paperback, 25 Euro, ISBN: 978-3-99300-140-7