In der Wahl der Methoden, durch die junge Muslime mit instabiler Persönlichkeit radikalisiert werden, sind Extremisten nicht zimperlich. “Da geht es um Gewissensmanipulation, Schwarz-Weiß-Malerei, die Verdrehung religiöser Quelltexte, den Missbrauch der Terminologie und die Schaffung eines Opfermythos”, sagte Ramazan Demir, Religionspädagoge und Generalsekretär der islamischen Gefängnis-Seelsorge.
Scheitern führt zu Suche nach Freunden und Anerkennung
Die Radikalisierung erfolgt hauptsächlich über Social Media und über tatsächliche oder vermeintliche Freunde. “Anfällig sind Leute auf der Suche nach Anerkennung durch ‘wahre’ Freunde, nach Erfahrungen mit Ausgrenzung und des eigenen Scheiterns”, sagte der 30-jährige Imam.
Hand in Hand damit geht mangelndes Selbstwertgefühl, das in Perspektivlosigkeit zum Beispiel nach Schulabbruch und Arbeitslosigkeit mündet. Probleme in der Familie und ein negativer Freundeskreis können ebenfalls Faktoren sein – in manchen Fällen auch Traumatisierung durch eigene Kriegserfahrungen oder die der Eltern. Ein weiterer Faktor ist die Unkenntnis des Islam oder religiöses Halbwissen.
Motivation der radikalisierten jungen Männer: Held sein wollen
“Was ich von radikalisierten Menschen schon gehört habe: (Der syrische Präsident, Anm.) Assad bringt viele Glaubensbrüder um. Also muss ich diese Brüder vor der Ermordung und deren Frauen vor Vergewaltigung retten”, erklärte der Gefängnis-Seelsorger zur Motivation junger Männer aus Österreich, sich der Jihadisten-Miliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen oder zumindest mit ihr zu sympathisieren. Dahinter stecke der Wunsch, einmal ein Held zu sein und Leben zu retten. “Das hat nichts mit Religion zu tun, das ist das Ergebnis von Propaganda”, sagte Demir.
“Auch der Wunsch nach Rache kann ein Motiv sein”, sagte Demir und nannte als Beispiel einen Tschetschenen, der sich sinngemäß so äußerte: ‘Mein Volk hat gegen die Russen verloren, also will ich in Syrien gegen die Russen gewinnen.’ Das hat ebenfalls nichts mit Religion zu tun, das ist Politik.”
Irrtümer über den Islam: Gefährliches Halbwissen
Halbwahrheiten und Irrtümer über den Islam haben die radikalisierten jungen Menschen nach den Erfahrungen des Gefängnis-Seelsorgers im Internet, bei Zellengenossen oder schon in der Familie aufgeschnappt. “Wenn ich frage: ‘Wer hat Dir gesagt, dass die Frau im Islam keinen Stellenwert hat?’ oder ‘Wer behauptet, dass es im Islam den Ehrenmord gibt?’, dann bekomme ich als Antwort: ‘Das war der Mehmet’ oder ‘Der Papa hat das gesagt.’ Beides ist allerdings falsch, weil es nichts mit der Religion zu tun hat, sondern mit Tradition. Da muss man informieren und Aufklärungsarbeit leisten, ethische Werte vermitteln und spirituelle Werte finden. Dann kann Resozialisierung gelingen.”
(apa/red)