Die roten Türme des Kreml verschwinden hinter einer stinkenden Nebelwand, aber für Oberbürgermeister Juri Luschkow geht „nichts Außergewöhnliches“ vor.
Immer mehr Moskauer landen mit Asthma und Atembeschwerden beim Arzt. Doch der Chefarzt der Rettungssanitäter, Igor Elkis, führt die Zunahme darauf zurück, dass wohl alle Einwohner „aus dem Sommerurlaub heimgekehrt“ seien.
Der Rauch der Wald- und Torfbrände im Moskauer Umland hat sich über der russischen Hauptstadt mit Auto- und Industrieabgasen zu einer gefährlichen Mischung verdichtet. Im Stadtzentrum lag die Konzentration von hochgiftigem Kohlenmonoxid am Donnerstag zwei bis drei Mal höher als der Grenzwert.
Doch um nichts in der Welt würde ein russischer Bürokrat zugeben, dass sich in seinem Verantwortungsgebiet eine Katastrophe anbahnt. Stadtchef Luschkow versuchte sich stattdessen in patriotischen Witzchen: „Natürlich ist der Rauch nicht süß, auch wenn es ein vaterländischer Rauch ist.“
In jeder westlichen Großstadt wäre wahrscheinlich längst der Autoverkehr eingeschränkt worden. Doch in Moskau ist der Ausnahmezustand Alltag. Schon an jedem normalen Werktag entkommt die russische Metropole nur knapp dem Infarkt von Autoverkehr und Öffentlichem Nahverkehr. Fiele ein Teil des Verkehrs weg, bräche das städtische Leben zusammen.
Also beließen es die Behörden am Donnerstag bei guten Ratschlägen an die Bürger: Fenster schließen! Kinder, Kranke und schwangere Frauen sollten nicht aus dem Haus gehen. Schulen verlegten die letzten Sportstunden des Spätsommers von draußen in die Turnhallen. In den Kindergärten wischten die Erzieherinnen alle halbe Stunde den Fußboden und verhängten die Fenster mit feuchten Tüchern. „Es nützt alles nichts“, klagte die stellvertretende Leiterin eines Kindergartens an der Straße Profsojusnaja. „Wir sitzen im Rauch.“
Familien überlegten, mit den Kindern tageweise hinaus aufs Land zu entkommen. Doch genau dort wüten die Waldbrände, die den Moskauern so zu schaffen machen. In 22 der 36 Landkreise des Gebiets herrscht Katastrophenalarm wegen der lodernden Feuer. 2.000 Feuerwehrleute standen am Donnerstag auf verlorenem Posten angesichts ständig neu aufflammender Brandherde. Auch die Meteorologen machten den Moskauern wenig Hoffnung: Das trockene Wetter soll noch über Tage andauern, von Regenwolken keine Spur.
Also ruht wie bei allen Problemen in Russland wieder einmal die Hoffnung darauf, dass Präsident Wladimir Putin die Behörden zum Handeln treibt. Auch beim Brand des Fernsehturms Ostankino vor zwei Jahren löschten die Feuerwehrleute erst, als der Befehl von ganz oben aus dem Kreml kam. Doch Putin vertauschte den Moskauer Dunst am Donnerstag mit dem klaren Blick aufs Schwarze Meer. Er flog zur Fortsetzung seines Urlaubs in den Badeort Sotschi.