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Kurz kontert Merkel: Österreich entscheidet selbst

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Bundeskanzler Sebastian Kurz lässt die Kritik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an seiner Haltung in der Debatte um die Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria abprallen. Österreich entscheide souverän, sagte Kurz am Dienstag am Rande eines Pressetermins.

"Wir werden dem deutschen Weg hier nicht folgen", sagte der Regierungschef bei einem Kasernenbesuch in Niederösterreich. "Ich gehe auch davon aus, dass sehr viele europäische Länder diesem Weg - Flüchtlinge in großer Zahl aus Griechenland aufnehmen - nicht folgen werden. Wir hier in Österreich haben in den letzten Jahren eine sehr, sehr hohe Zahl an Flüchtlingen aufgenommen."

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Österreich sei EU-weit das am drittstärksten von Migrationsbewegungen betroffene Land, so Kurz. Auch habe Österreich nach Schweden die meisten Kinder aufgenommen, sagte er. Und er verwies neuerlich darauf, dass alleine 2020 3.700 Minderjährigen durch eine positive Entscheidung im Asylverfahren Schutz in Österreich gewährt worden sei. Österreich habe dadurch sehr große Herausforderungen im Integrationsbereich. Es sei wichtig "zunächst diejenigen zu integrieren, als ständig neue aufzunehmen", so der ÖVP-Obmann.

Mehr EU-Kompetenzen gefordert

Europaabgeordnete von SPÖ, Grünen und NEOS forderten indes nach dem Feuer im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos mehr EU-Kompetenzen in der Flüchtlingspolitik. Es brauche gemeinsame europäische Asylverfahren und eine Aufteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten, verlangte SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder am Dienstag.

Innenpolitische Streitigkeiten

Die innenpolitischen Streitigkeiten um eine Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen aus dem abgebrannten griechischen Lager Moria sind um eine Facette reicher. Innenminister Karl Nehammer regt an, dass Wien alternativ gerne Jugendliche aus Bundesbetreuungseinrichtungen aufnehmen könne, um diese zu entlasten. Bürgermeister Michael Ludwig antwortet mit Verwunderung.

Hintergrund ist, dass der Wiener Landtag mit den Stimmen von SPÖ, Grünen und NEOS angeregt hat, 100 schutzbedürftige Jugendliche aus griechischen Lagern aufzunehmen. Dafür bräuchte es freilich die Zustimmung des Bundes. Doch die ÖVP blockt bekanntlich ab.

Schreiben an Ludwig

Nun macht Nehammer darauf aufmerksam, dass die Bundesbetreuungseinrichtungen wie u.a. Traiskirchen und Thalham mit gesamt rund 1.600 Flüchtlingen stark belegt sind. Die zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen wegen Corona erleichtern die Sache nicht unbedingt. Daher schrieb der Innenminister einen Brief an Ludwig, über den mehrere Medien heute berichteten.

Darin ist zu lesen, dass sich derzeit rund "170 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Bundesbetreuung befänden". Ludwig könne sein Angebot wahr machen und 100 von ebendort in Wien aufnehmen: "Abschließend bedanke ich mich für die zum Ausdruck gebrachte Hilfsbereitschaft und das Engagement im Hinblick auf den Umgang mit hilfs- und schutzbedürftigen Menschen", formuliert der Innenminister.

Wien ortet Provokation

Im Rathaus wird das sichtlich als Provokation aufgefasst. Ludwig griff jedenfalls selbst zur Tastatur und schrieb Nehammer, dass das Angebot, 100 Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen, ein Gebot der Menschlichkeit sei und er es erneuere. Überrascht sei er jedoch, dass Nehammer die Umstände in dem abgebrannten Lager mit jenen in der Bundesbetreuung vergleiche, für die der Innenminister zuständig sei. Sollten dort tatsächlich solche Zustände herrschen wie in Griechenland, sei Wien natürlich bereit zu helfen.

Gleichzeitig macht Ludwig aber klar, dass der Innenminister aus seiner Sicht selbst zu Rande kommen sollte. Er gehe davon aus, dass Nehammer selbst für die menschenwürdige Unterbringung und den Schutz der Flüchtlinge im Zusammenhang mit Covid-19 sorgen werde.

Auch Vorarlberger Gemeinden wollen Flüchtlinge aufnehmen

Ohnehin ist Wien nicht die einzige Stadt, die Bereitschaft bekundet hat, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. Unter anderem hatten mehrere der ÖVP zugehörige oder zugerechnete Bürgermeister in Vorarlberg diese Linie vertreten.

Wenn es darum geht, Flüchtlinge aufzunehmen, ist Wien jedenfalls traditionell kein Vorwurf zu machen, ist doch die Bundeshauptstadt bei der Erfüllung der Aufnahmequoten seit Jahren vorbildlich unterwegs. So hat Wien derzeit 5.233 Personen mehr in der Grundversorgung, als es gemäß Verteilungsvereinbarung zwischen den Ländern müsste. Sämtliche andere Bundesländer verpassen die Quotenvorgaben. Die Steiermark erfüllt sie beispielsweise nur zu knapp 67 Prozent, Niederösterreich zu gut 68 Prozent. In absoluten Zahlen sind das 1.260 bzw. 1.615 Menschen weniger, als dies vorgegeben wäre.

Was die Unterbringung von Jugendlichen angeht hat Wien derzeit 205 unbegleitete Minderjährige in Betreuung. Das sind so viel wie Niederösterreich, Oberösterreich und die Steiermark zusammen.

(APA)

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