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Modische Zukunftsindustrie

Von der Idee, mit Hilfe von Stickereitechnik leitende Strukturen als Stromverteiler für elektrochemische Verfahren zu erzeugen.

Gestickte Energiespeicher oder schadstofffreie Unterwäsche sind nur zwei der revolutionären Ergebnisse der Forschungen am Forschungsinstitut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn.

Die Modewelt beschäftigt und inspiriert die Expertinnen und Experten für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn. Von der Idee, mit Hilfe von Stickereitechnik leitende Strukturen als Stromverteiler für elektrochemische Verfahren zu erzeugen, bis hin zur Umsetzung einer Unterwäsche-Serie ohne Abfall, arbeiten Thomas Bechtold, Professor am Forschungsinstitut, und Tung Pham, Leiter des Instituts, gemeinsam mit ihrem Team an innovativen Verfahren.

Gestickter Energiespeicher

Wenn es nach den Textilforschern geht, wird moderne Stickereitechnik bald den Weg zu effizienteren und leichteren Batterien ebnen. Vorarlberger Stickereien sind seit Jahrzehnten ein weltweit geschätztes Luxusgut in der Modewelt. Wer aber denkt bei Stickereien an Hightech und Batterien? Eine Gruppe um Thomas Bechtold und drei Vorarlberger Stickereien hat die Idee geboren, mit Hilfe von Stickereitechnik leitende Strukturen als Stromverteiler für elektrochemische Verfahren zu erzeugen. Denn Stickereitechnik eignet sich außerordentlich gut zur Herstellung leitender dreidimensionaler Strukturen für Elektroden.

„In der Praxis wird bei vielen Batterien und Akkumulatoren die Ausnutzung der vorhandenen Chemikalien nur unvollständig erreicht, sodass die effektiv nutzbare Energiedichte verringert wird“, erklärt Bechtold, Experte auf den Gebieten der elektrochemischen Prozesse, der Faserforschung, der Polymer-Chemie, der textilen Physiologie und der Textilbekleidung. „Um die Leistungsfähigkeit einer Batterie zu optimieren, ist eine bessere Stromverteilung in der aktiven Masse erforderlich. Nur so kann die aktive Masse bei gleichzeitig hoher Stromdichte möglichst vollständig ausgenutzt werden“, so Bechtold. Auf einem Grundmaterial werden Fäden aus leitendem und nichtleitendem Material durch Stickerei so befestigt, dass eine dreidimensionale, elektrisch leitende Struktur entsteht. „Diese Struktur ist als Elektrode für elektrochemische Anwendungen bzw. als Stromverteiler geeignet“, sagt Thomas Bechtold.

Das Verfahren wurde in Österreich zum Patent angemeldet und wird von den Partnern weiterentwickelt. Die durch diese Technik möglichen höheren Stromdichten könnten zukünftige Batterien leistungsfähiger und leichter machen. Dem kommt in vielen Anwendungsbereichen eine große Bedeutung zu, scheitert doch so manche Technologie auch heute noch an zu großen und zu schweren Energiespeichern. Insbesondere E- Bikes, Elektroautos und Ähnliches könnten von dieser neuen Technologie massiv profitieren. „Die Gewichtsreduktion der Speichersysteme besitzt gerade in diesem Bereich eine hohe Priorität“, betont Textilforscher Thomas Bechtold.

Komplexes Verfahren

Verschiedenste Materialien, von Fäden über Zellulosefasern und Polymeren bis zu Ölen und Färbemitteln, mussten genau untersucht werden. „Die Unternehmen haben auf ein vollkommen neues Polymer umgestellt, das biologisch abbaubar ist. Dazu kommen recyclebare Polyamidfäden und Zellulosefasern, die kompostiert werden können.

Auch bei Naturfasern wie Baumwolle wird das Ansinnen kaum leichter, da man auch Insektizide und Pestizide beim Anbau sowie den Färbeprozess in die Umstellung miteinbeziehen muss“, beschreibt der Textilchemiker. Ein Teilaspekt des Projektes, der im Dornbirner Forschungsinstitut bearbeitet wurde, verdeutlicht die Komplexität des Vorhabens: Im Rahmen zahlreicher Tests mussten die Textildruck-Maschinen, die die in die Wäschestücke eingenähten Etiketten produzieren, auf abbaubare und trotzdem haltbare Tinte umgestellt werden. „Auch wenn diese Etiketten nichts zum Design oder der Funktion des Wäschestücks beitragen, sind sie für das marktfähige Produkt nötig und müssen genauso wie alle anderen Teile dem Cradle-to-Cradle-Prinzip entsprechen“, betont Thomas Bechtold. Profitiert hat das Projekt auch von der räumlichen Nähe – befindet sich doch in Vorarlberg eine hohe Anzahl an Markenherstellern und Zulieferern im Wäschebereich, die zu den qualitativen und technologischen Marktführern in Europa gehören.

Auf Basis des im Rahmen des Projekts erarbeiteten Wissens konnte die Firma Wolford 2017 die ersten Prototypen einer Cradle-to-Cradle-Wäscheserie präsentieren, die im Herbst 2018 auf den Markt gekommen ist.

„Durch die enge Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Zulieferern haben wir die Kernstücke unserer Kollektion mit dem Cradle-to-Cradle-Ansatz überdacht und umgestaltet. Dieser Ansatz wird helfen, Nährstoffe in mehreren biologischen und technischen Kreisläufen zu erzeugen. Mit dieser Innovation verpflichten wir uns nachdrücklich dazu, Produkte zu entwickeln, die nur gesunde Rohstoffe, Chemikalien und Farbstoffe enthalten, welche für den Kunden, die Gesellschaft und die Umwelt gleichermaßen harmlos sind“, so Andreas Roehrich, Leiter der Produktentwicklung bei Wolford.daniela.puempel@uibk.ac.at

Forschungsinstitut für Textilchemie und -physik

Das Forschungsinstitut für Textilchemie und Textilphysik wurde 1982 in Vorarlberg mit dem Ziel gegründet, die Entwicklungen in diesem wichtigen industriellen Feld voranzutreiben. Etwa die Hälfte der Wertschöpfung im Textilbereich in Vorarlberg wird bereits heute mit technischen Textilien erwirtschaftet. Nach jahrelanger Leitung des dezentralen Forschungsinstituts der Universität Innsbruck, welches sich in Dornbirn befindet, hat Univ.-Prof. Dr. Thomas Bechtold die Leitung an Univ.-Prof. Dr. Tung Pham abgegeben. Seit 2016 ist Pham als neuer BM- VIT-Stiftungsprofessor für Textile Verbundwerkstoffe und Technische Textilien am Institut beschäftigt.

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