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Mnemosyne in der Albertina

Neue Schau im Albertina Studiengebäude: „Mnemosyne“ heißt die Mutter der Musen in der griechischen Mythologie, ein Name, der „Erinnerung“ bedeutet.

Für den deutschen Kunsthistoriker und Kulturwissenschafter Aby Warburg (1866-1929) war sie die Schutzgöttin seiner Arbeit, mit der er versuchte, das Weiterleben der Antike in der Bilderwelt späterer Epochen nachzuzeichnen. Mit einer Rekonstruktion des letzten – unvollständig gebliebenen – Werkes des Wissenschafters, dem „Bilderatlas Mnemosyne“, hat die Wiener Albertina gestern, Donnerstag, ihr Studiengebäude erstmals für eine Ausstellung zugänglich gemacht (bis 14.12.).

Auch wenn sie eher vorsichtig als solche bezeichnet wurde. „Die Idee war eigentlich nicht, es auszustellen, sondern es den Forschern – vor allem den eigenen – zugänglich zu machen“, erklärte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder bei der gestrigen Presseführung. Dann habe man allerdings entschieden, die Ausstellung – „wenn man sie so bezeichnen kann“ – einer breiteren – „wenn auch nicht einer breiten“ – Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Studiensäle zu öffnen. Für Gerhard Fischer, den Leiter der „Transmedialen Gesellschaft deadalus“, der die Ausstellung realisierte, wird damit für jedermann ein „Ort des Denkens, Sehens und Lesens“ geöffnet – „Sie können hier monatelang weiden!“

Weiden, nachschlagen, studieren – für die Besucher haben Fischer und die Albertina jede Mange Anleitungsmaterial zusammengestellt. Mit einem „Leitfaden“, in dem Fischer den gedanklichen Kosmos Warburgs zu umreißen versucht, und einem „Ausstellungsguide“ bewaffnet geht man also an die Sehensarbeit – und kommt sich dabei unweigerlich selbst wie ein Bilder-Forscher vor.

63 Tafeln, beklebt und behängt mit 1.180 schwarz-weißen Bildchen, die die Entwicklung von Figuren und Ausdrucksformen in einer losen Ansammlung von Motiven aus Antike, Renaissance, Barock und den Anfängen des 20. Jahrhunderts aufbreiten, sind abzuschreiten. In der Hand den Guide, der in nüchterner Aufzählung Daten und Erklärungen zu den Bildern bietet. Und wenn dann noch Fragen offen sind steht eine „Freihandbibliothek“ mit Primärliteratur von Homer bis Michelangelo und Sekundärliteratur über das „Universum Warburg“ zur Verfügung.

„Wir können nicht sagen, wie das Werk ausgesehen hätte, wenn es fertig geworden wäre“, beschrieb Fischer den Rekonstruktionsprozess der Tafeln, der anhand einer Fotodokumentation des Projekts schon 1993 abgeschlossen war und in einer ersten Ausstellung mündete. Die nun der Albertina zur Verfügung gestellten Tafeln werden dort auch nach Ausstellungsende für Wissenschafter zugänglich bleiben. Denn die unzähligen Zusammenhänge, Querverweise und Weiterverarbeitungen, die es auf den Tafeln in gedanklicher Kleinstarbeit zu entdecken gilt, machen „monatelanges Weiden“ wohl tatsächlich notwendig. Bei einem „Museumsbesuch“ üblichen Zuschnitts kann man maximal zu erahnen beginnen, wie fundamental durchdacht Warburg die ikonologische Rezeptionsgeschichte der griechischen Antike aufbereitete. Auch wenn die Studiensäle also nun für eine Ausstellung genutzt werden, werden sie doch nicht zu einem Museum – stattdessen wird der Museumsbesucher zum Studenten.

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