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Mittäter "weder ein- noch ausgeschlossen"

"Weder ein- noch ausgeschlossen" ist laut Sonderkommission Natascha, dass Wolfgang Priklopil bei der Entführung der damals zehnjährigen Schülerin einen Komplizen hatte.

Dass Ermittlungspannen passiert seien, wiesen Innenministerin Liese Prokop (V) und SOKO-Chef Nikolaus Koch in einer Pressekonferenz zurück. Der Tatverdächtige habe ein Alibi vorweisen können, sagte der Generalmajor.

Bald nach dem Verschwinden Nataschas waren Hinweise aufgetaucht, die sich aus heutiger Sicht zumindest teilweise bewahrheiteten: Eine zwölfjährige Schülerin sagte aus, das Mädchen sei auf dem Weg zur Schule in einen weißen Kastenwagen gezerrt worden – ein zweiter Mann sei am Steuer gesessen. Daraufhin wurden hunderte, bis heute insgesamt mehr als 1.000 solcher Fahrzeuge und deren Halter überprüft. Zudem gab es den Hinweis eines Ehepaares, dass es sich um einen Kleinbus mit Gänserndorfer Kennzeichen gehandelt habe. Natascha Kampusch wurde nach ihrer Verschleppung achteinhalb Jahre in einem Haus in Strasshof a.d. Nordbahn im Bezirk Gänserndorf festgehalten.

Wolfgang Priklopil wurde damals überprüft, „er konnte aber ein glaubwürdiges Alibi vorweisen“, betonte Koch. Seine Angaben – er baue sein Haus um, deswegen sei das Fahrzeug mit Bauschutt gefüllt – erschienen den Ermittlern zudem schlüssig und unverdächtig. „Für einen Hausdurchsuchungsbefehl braucht man mehr als eine anonyme Anzeige“, sagte Koch. „Nach dem damaligen Wissensstand wäre kein Hausdurchsuchungsbefehl erteilt worden“, meinte auch Erich Zwettler vom Bundeskriminalamt. „Heute gebe es sicher noch die eine oder andere technische Möglichkeit mehr, damals sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden“, sagte Prokop.

Koch bestätigte, dass sich Priklopil offenbar immer wieder längere Zeit – „ein paar Stunden, ein, zwei Tage“ – vom Haus entfernt hatte. Natascha Kampusch habe währenddessen in ihrem Verlies in der Garage ausgeharrt.

Zumindest in letzter Zeit dürfte sie häufiger Haus- und Gartenarbeiten für ihren Entführer durchgeführt haben: Die junge Frau konnte fliehen, während sie das im Garten abgestellte Auto des Mannes aussaugte. „Wegen des Lärms hat sich der Verdächtige einige Meter entfernt, um ein Telefongespräch zu führen. Natascha hat die Situation erkannt und ist aus dem Garten geflohen“, sagte Generalmajor Gerhard Lang vom Bundeskriminalamt.

Über den Zustand des Entführungsopfers sagte Koch: „Zur Zeit geht es ihr gut.“ Natascha habe die angebotene Betreuung angenommen und werde von einem Psychologenteam um Kinderpsychiater Max Friedrich sowie Opferschutzexperten umsorgt. Sie sei durchaus in der Lage, “über sich selbst zu entscheiden“.

Am Donnerstag sei mit der Befragung des 18-Jährigen begonnen worden. „Das ist für sie ein belastender Vorgang“, sagte Zwettler. Von ärztlicher und psychologischer Seite sei eine Unterbrechung bis mindestens Montag angeraten worden.

Zu vorgebrachten Gerüchten, Natascha Kampusch sei womöglich schwanger, sagte Koch: „Das kann ich als Kriminalist nicht beantworten.“ Zur Frage, ob der Entführer sie im Verlies über Kameras beobachtet habe, sagte der SOKO-Chef: „Er hat sich bemüht, größtmögliche Kontrolle über sein Opfer zu haben.“ Der 18-Jährigen sei bei persönlichen Angaben absolute Vertraulichkeit zugesichert worden, betonten die Ermittler.

Derzeit konzentrierten sich die Ermittlungen auf den Tatort in Strasshof. Mehr als ein Dutzend Beamte sichern Spuren, in Nataschas winzigem Verlies kann sich nur jeweils ein Kriminalist aufhalten. Umbauten in der Garage fanden laut Koch schon Anfang und Mitte der neunziger Jahre statt. „Ob das damals schon so ausgesehen hat wie jetzt, wissen wir nicht.“ Priklopil sei ein Heimwerker gewesen, der Kellerausbau im ehemaligen Haus seiner Großeltern wegen des großen Bauvolumens wohl nicht so leicht zu bewältigen gewesen. Auch der weiße Kastenwagen Baujahr 1993 wird auf Spuren untersucht, auch hinsichtlich der möglichen Beteiligung eines zweiten Täters.

Angaben zum Umgang des Verdächtigen mit seinem Opfer oder zu ihrem Tagesoblauf in Gefangenschaft – Natascha Kampusch hatte sich unmittelbar nach ihrem Wiederauftauchen einer jungen Polizistin anvertraut – müssten erst überprüft werden, wurde allgemein betont. Auf die Frage, ob Natascha ein Missbrauchsopfer sei, hatte die Beamtin Sabine Freudenberger im ORF-Interview gesagt: „Meiner Ansicht nach ja. Das ist ihr aber selbst nicht klar. Sie hat das alles immer freiwillig gemacht, hat sie gesagt.“

Noch sei völlig unklar, ob Wolfgang Priklopil die damals Zehnjährige gezielt als Opfer ausgesucht hat. In vergleichbaren Fällen gehe es den Tätern meist um Machtausübung und ein sexuelles Motiv, sagte Zwettler. „Ob das auch hier zutrifft, muss sich erst herausstellen.“ Der Computer des Mannes wird derzeit noch ausgewertet.

Die DNA-Untersuchung durch die Wiener Gerichtsmedizin hat die Identität der jungen Frau unterdessen zweifelsfrei bestätigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zweiter Mensch das gleiche DNA-Profil aufweist, liegt demnach bei 1:23 Milliarden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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