Minsk: Absperrungen durchbrochen
An beiden Zugängen zum zentralen Oktoberplatz versuchten Polizisten mit Schilden und Kampfausrüstung, die mehreren tausend Demonstranten abzudrängen. Am Rande des Platzes kam es zu vereinzelten Rangeleien zwischen Demonstranten und Ordnungshütern. Zahlreiche Demonstranten zogen sich schließlich in einen nahegelegenen Park zurück.
Zuvor hatten hunderte Demonstranten eine Polizeiabsperrung in der Nähe des Platzes durchbrochen. Die Sicherheitskräfte errichteten Metallgitter, um den Oppositionsanhängern den Zugang zu versperren. Ein Polizeikordon stemmte sich den andrängenden Demonstranten entgegen, die Es lebe Weißrussland skandierten.
Die Atmosphäre blieb auf beiden Seiten zunächst relativ gelassen. Viele Demonstranten hielten Blumen in den Händen. Die Polizei forderte die Anhänger des Oppositionsführers Alexander Milinkewitsch auf, nach Hause zu gehen, da die Kundgebung nicht genehmigt und damit gesetzeswidrig sei.
Milinkewitsch rief die Polizei zum Gewaltverzicht auf. Ich hoffe, dass die Macht so viel Verstand zeigt, dass es nicht wieder zu Massenfestnahmen kommt, sagte der Oppositionspolitiker vor etwa 3000 Anhängern im Stadtzentrum der Hauptstadt. Milinkewitsch erklärte, er halte an der Demonstration zum Gedenken an die Ausrufung der ersten weißrussischen Republik 1918 fest. Die Opposition ruft an diesem Tag traditionell zu Demonstrationen auf. Wir planen keine Gewalt. Ich hoffe, die Behörden verstehen das, sagte er.
Die Polizei sperrte zunächst Samstag früh den Oktoberplatz in Minsk ab. Der Zutritt zum Platz sei wegen des Abbaus der Eislaufbahn verboten, erklärte ein Polizist den Fußgängern. Mehr als ein halbes Dutzend Bulldozer und Traktoren mit Schneeausrüstung waren angerückt, um eine große Eisbahn abzubauen, die einen großen Teil des Platzes eingenommen hatte. Sicherheitsleute mit Schlagstöcken patrouillierten rund um den Platz.
Freitag früh hatten die Behörden ein Zeltlager von mehreren hundert Oppositionsanhängern gewaltsam geräumt. Das Lager war am Montagabend, einen Tag nach der Präsidentenwahl, errichtet und tagelang von der Polizei geduldet worden. Mit der Mahnwache verlieh die Opposition ihrem Vorwurf des Wahlbetrugs Nachdruck. Der seit zwölf Jahren regierende Präsident Alexander Lukaschenko gewann die Wahl am Sonntag nach offiziellen Angaben mit 83 Prozent der Stimmen. Die Opposition fordert eine Neuauszählung.
Das Vorgehen der Staatsmacht gegen die friedlichen Oppositionsanhänger war von der Europäischen Union und den USA stark kritisiert worden. US-Präsident George W. Bush bekundete den demokratischen Kräften Weißrusslands in einer persönlichen Botschaft seine Sympathien. Ich sende meine Grüße an jene, die sich für die Rückkehr der Freiheit in Weißrussland einsetzen, sagte Bush am Freitagabend (Ortszeit) in Washington. Die Gedanken der Vereinigten Staaten seien mit allen Menschen, die verfolgt, festgenommen, inhaftiert und geschlagen worden seien.
Amtsinhaber Lukaschenko hatte die Wahl am Sonntag nach offiziellen Angaben mit mehr als 82 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Regierungsgegner zweifeln das Wahlergebnis an und fordern Neuwahlen. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte die Wahl als weder fair noch frei kritisiert.