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"Migrationsdruck": Warnung vor neuer Flüchtlingswelle aus Nahost

Ein "gewisser Migrationsdruck bleibt bestehen", so die Hilfsorganisation CARE.
Ein "gewisser Migrationsdruck bleibt bestehen", so die Hilfsorganisation CARE. ©AFP (Sujet)
Am Mittwoch, einen Tag vor der Londoner Geber-Konferenz, warnten Regierungsvertreter in Berlin davor, dass sich eine sehr große Zahl an Flüchtlingen auf den Weg in die EU machen könnte. Auch die Hilfsorganisation CARE meint, ein "gewisser Migrationsdruck bleibt bestehen".

Derzeit gebe es in der Region rund zehn Millionen Menschen, die durch die Kriege in Syrien und Irak aus ihren Heimatregionen geflohen seien, hieß es am Mittwoch in Regierungskreisen. Zehn Prozent davon seien im vergangenen Jahr in die EU gekommen.

Flüchtlinge: Deutschland warnt vor neuer Massenflucht aus Nahost

Ohne eine ausreichende Versorgung und eine Bleibeperspektive könne diese Zahl erheblich steigen. Deshalb müsse die Weltgemeinschaft auf der Konferenz in London substanzielle Zusagen machen. Dabei gehe es nicht nur um die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, sondern auch um die Schulversorgung für Kinder sowie Arbeitsmöglichkeiten. Gastgeber der Konferenz sind Großbritannien, Norwegen, Kuwait und Deutschland. Auch Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) nimmt an dem Treffen teil.

Während Deutschland bei der Geberkonferenz laut einem Zeitungsbericht um 500 Millionen Euro mehr für das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR locker machen will, plant Österreich keine Aufstockung. Eine Kanzlersprecherin sagte am Mittwoch, bei den angekündigten 60 Millionen Euro für Flüchtlinge in Syrien und den Nachbarländern handelt es sich um schon im Vorjahr angekündigte Mittel. 45 Millionen Euro sind Österreichs Beitrag an den drei Milliarden Euro, die die EU für Flüchtlingshilfe in der Türkei ausgeben will. Weitere 14,25 Millionen Euro gehen an den EU-Treuhandfonds für Syrien (Madad-Fonds) sowie die UNO-Hilfsorganisationen UNHCR, World Food Programme und UNICEF im Libanon.

CARE: “Gewisser Migrationsdruck bleibt bestehen”

“Ein gewisser Migrationsdruck bleibt bestehen. Im Frühjahr werden wieder mehr Menschen kommen.” Felix Wolff, Koordinator für den Balkan und Syrien der Hilfsorganisation CARE, erwartet angesichts der verzweifelten Lage der Menschen in Syrien und den Nachbarstaaten vorerst kein Abflauen des Flüchtlingsstroms.Wien. Über die Veränderungen in Europa seien die Menschen, ob sie sich noch im syrischen Kriegsgebiet aufhalten oder in der Türkei, in Jordanien oder im Libanon gestrandet sind, “relativ gut informiert. Sie kriegen mit, dass die Stimmung kippt”, erläutert der CARE-Koordinator im Gespräch mit der APA in Wien. So waren etwa die Vorkommnisse in Köln zum Jahresende Thema unter syrischen Flüchtlingen in Jordanien. Viele setzten sich in Marsch, bevor die Einreise in EU-Staaten weiter erschwert werde.

“Wenn Familien seit Jahren in Lagern sitzen”, kein Ende des Krieges und keine Perspektive einer Rückkehr in die Heimat sehen, ihre Kinder keine Schulen besuchen können, versuchten sie dennoch, nach Europa zu kommen, so Wolff. Überdies hätten sich die Hilfsmittel internationaler Organisationen für Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon und in der Türkei verringert. Fazit: “Sie ziehen weiter.” Doch ein Teil der Flüchtlinge komme auch direkt aus Syrien, Afghanistan und von den Islamisten des IS (“Islamischer Staat”) beherrschten Gebieten.

Über den Winter ging die Zahl der über die Balkan-Route nach Europa strömenden Flüchtlinge zurück. Während im Oktober/November noch bis zu 10.000 Richtung Österreich/Deutschland strömten, reisten derzeit circa 3.000 täglich durch. Im Herbst sei in Kooperation mit den nationalen Behörden der Balkan-Staaten eine Infrastruktur entstanden. CARE ist in Serbien und Kroatien aktiv. “Derzeit ist das System einigermaßen beherrschbar”, resümiert Wolff. In jedem Balkan-Land würden die Einreisenden registriert, doch der Datenaustausch zwischen den Staaten sei mangelhaft.

An den Grenzstationen werde – nach Nicht-/Kriegsflüchtlingen – “ausgesiebt”. Ein großer Teil der Flüchtlinge komme ohne Papiere an – offen sei, ob sie nie welche hatten oder diese wegwarfen. In Griechenland und Mazedonien würden Afrikaner “aussortiert”. In Serbien würden die Ankommenden relativ leicht durchgelassen, in Kroatien prüfe man mittels Dolmetschern die Sprachen – nach arabischen Dialekten, nach den Sprachen von Iranern, Afghanen und Pakistanis. Wolff dazu: “Die Kriterien sind sehr oberflächlich.”

Internationale Grenzproblematik schafft Möglichkeiten für Schlepper

Was wird aus jenen, die in Kroatien nicht durchgelassen werden? Diese könnten theoretisch in Serbien um Asyl ansuchen, doch das tun die wenigsten. Wolff: “Die meisten versuchen es mehrmals, suchen andere Wege, um nach Kroatien zu kommen.” Hier kommen aber auch die Schlepper auf den Plan. Der CARE-Koordinator warnt vor “einem rechtsfreien Raum”. In den Trecks bestehe ein gewisser Schutz, doch außerhalb blühe das Schlepperunwesen. “Abgewiesene wenden sich oft an Schlepper.” In Nordserbien existierten “Zwischenlager” für Menschen.

Über Menschenhandel gebe es keine Statistiken, führt Wolff aus. Fälle von sexueller Erpressung und Berichte über Entführungen ließen sich nicht bestätigen. Auch nicht die jüngst kolportierte Zahl von 10.000 auf der Flucht verlorenen Kindern. Viele Jugendliche ohne Dokumente gäben sich als älter aus, andere hätten sich zu bereits in Europa lebenden Verwandten durchgeschlagen. In Deutschland versuchten viele der angekommenen jungen Männer, Angehörige nachzuholen. “Wenn das nicht klappt, machen sie es über Schlepper.”

CARE setzt am Balkan auch mobile Teams ein, um Flüchtlinge “abseits der Routen zu erreichen” und sie mit Hilfsgütern zu versorgen. Dies sei nicht einfach, denn diese Menschen seien bisweilen noch mit ihren Schleppern unterwegs und naturgemäß nicht kommunikativ. Die Zusammenarbeit mit kroatischen und serbischen Behörden bezeichnet Wolff als “sehr restriktiv”. Man wolle die Flüchtlingsströme von der eigenen Bevölkerung fernhalten. CARE helfe aber auch bei der Ausstattung der staatlichen Camps.

Die Rückstellung von Flüchtlingen sieht Wolff als problematisch an. Er verweist auf die Abschiebung von Roma aus Deutschland, die in Bosnien nun völlig verloren und ohne Perspektive leben, mit Kindern, die perfekt Deutsch sprechen. Daraus ergebe sich die Logik, in den Herkunftsländern beizeiten für vernünftige Lebensverhältnisse Sorge zu tragen.

Doskozil will Soldaten an EU-Außengrenze schicken

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) will Soldaten zur Sicherung der EU-Außengrenze nach Griechenland schicken. Österreich würde sich an einer “zivil-militärischen EU-Mission” in Griechenland beteiligen, sagte Doskozil dem “Kurier” (Donnerstagsausgabe). Er kritisierte, dass die EU-Kommission und die Grenzschutzagentur Frontex in der Flüchtlingskrise “viel zu bürokratisch” agierten. “Wir müssen neue Wege gehen”, sagte der frühere burgenländische Landespolizeidirektor im Vorfeld seiner ersten Teilnahme an einem EU-Verteidigungsministerrat am morgigen Donnerstag in Amsterdam. “Es braucht eine gemeinsame europäische Überwachungskapazität. Das könnte eine EU-Mission von zivilen Beamten und Soldaten sein.”

Doskozil sprach sich für “eine klare EU-Kommandostruktur” beim Einsatz an der griechischen EU-Außengrenze aus. Auch Österreich würde Soldaten schicken. “Österreich hat für Frontex bereits 100 Beamte angemeldet, davon 50 Bundesheer-Angehörige. Die stehen bereit.”

Was die Auslandseinsätze betrifft, bekräftigte der neue Verteidigungsminister die Schwerpunktsetzung seines Vorgängers. “Auslandsoperationen sind wichtig, um das Sicherheitsumfeld zu stabilisieren. Nur so können Migrationsströme in Zukunft reduziert werden. Es geht darum, dort für Stabilität zu sorgen, wo Krisen entstehen und Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.” Während Afrika immer mehr an Bedeutung für Europa und Österreich gewinne, sei wegen des “politischen Stillstands” auf dem Balkan auch eine Fortsetzung der dortigen Einsätze notwendig.

Grundsätzlich sprach sich Doskozil für die Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie der EU-Staaten aus, “weil sich Europa klar werden muss, welche Sicherheitsinteressen es im globalen Kontext verfolgen will”. Mit der NATO hat der neue Verteidigungsminister “keine Berührungsängste”. Ein Beitritt zum nordatlantischen Verteidigungsbündnis sei aber auch “kein Thema”.

(apa/red)

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