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"Mephisto" eröffnet Saison im Wiener Burgtheater

Der Saisonauftakt startet mit der Premiere von Klaus Manns "Mephisto" im Wiener Burgtheater.
Der Saisonauftakt startet mit der Premiere von Klaus Manns "Mephisto" im Wiener Burgtheater. ©APA/HERBERT P. OCZERET
Am Dienstagabend fand im Burgtheater Wien die Aufführung von Klaus Manns Roman "Mephisto" statt. Mit einem Stück, das durch die Leistung von Nicholas Ofczarek und seinen Kollegen brilliert, startet Wien in die nächste Theatersaison.
Mephisto im Burgtheater Wien

Klaus Manns 1936 im Exil veröffentlichter und 1981 von Istvan Szabo mit Klaus Maria Brandauer verfilmter “Mephisto” gilt als Schlüsselroman, in dem er den Weg seines ehemaligen Schwagers Gustaf Gründgens nachzeichnet, der sich in Nazi-Deutschland zum gefeierten Leiter des Berliner Staatstheaters aufschwang – und seinen kommunistischen, jüdischen Freundeskreis ratlos und verzweifelt zurückließ. Und so interessiert sich Kraft, der bisher mit Dramatisierungen von Dostojewskis “Schuld und Sühne” in Frankfurt oder Thomas Manns “Buddenbrooks” in Zürich Erfolge feierte und im Akademietheater Viscontis “Ludwig II.” auf die Bühne brachte, in seinem “Mephisto” auch für den Autor selbst – und fügt dem Werk eine neue Rolle hinzu: jene des Schriftstellers Sebastian, der seine frühen Erwachsenenjahre in enger, erotisch aufgeladener Freundschaft mit dem Schauspieler Hendrik Höfgen, seiner Schwester Barbara und seiner Verlobten Nicoletta verbringt.

Fabian Krüger brilliert als Sebastian in “Mephisto”

Aus dem späteren Exil schreibt Sebastian schließlich im Nachhinein die Geschichte auf: mal an seiner Schreibmaschine sitzend, mal als handelnde Figur mitspielend und in weiterer Folge auf der Bühne hin- und herwandelnd, um seinen Charakteren ihren Text einzuhauchen. Ein Kunstgriff, der das Prozesshafte sowie den subjektiven Blick des Autors in den Mittelpunkt der Erzählung stellt. So wird Höfgen nicht nur zur Marionette der Nationalsozialisten, sondern auch zum Objekt des Autors. Fabian Krüger brilliert dabei in der Rolle des nervösen, von Drogen und Angst zerfressenen Schriftstellers, der zwar Sebastian heißt, aber Klaus Mann selbst meint. Authentisch werden seine Worte dank der umfangreichen autobiografischen Schriften und politischen Essays, die Mann hinterlassen hat. Als selbstbewusste Komplizin steht ihm seine Schwester Barbara (Dörte Lyssewski) zur Seite, die hier die treibende Kraft hinter der Entstehung des Romans bildet und im Roman wie im Stück zunächst mit Höfgen verheiratet ist und ihn verlässt, als dieser sich weigert, ihr bei der Machtergreifung der Nazis ins Exil zu folgen.

Bühnenkonstruktion ermöglicht mehr Räume zu schaffen

Peter Baur hat für dieses Setting eine Bühnenkonstruktion geschaffen, die es mithilfe von vier hoch aufragenden, beweglichen Wänden ermöglicht, rasch unterschiedliche Räume zu schaffen. Sie sind mal Barriere, mal Projektionsfläche für Live-Videos und am Ende sogar Spiegel. Dazwischen ragt ein den ganzen Bühnenraum durchmessendes, überdimensioniertes Laufband hervor, das im Laufe des Abends immer steiler wird: Ein Sinnbild für Aufstieg und Fallhöhe des Protagonisten Höfgen. Diesen legt Ofczarek, der mit weißer Schminke, steilen Augenbrauen und rotem Mund an Gründgens Mephisto-Darstellung gemahnt, als karrieregeilen Egozentriker an, der sein Umfeld ebenso hypnotisiert wie verstört. Und trotz des unaufhaltsamen Aufstiegs, ermöglicht durch den Ministerpräsidenten (Martin Reinke) und dessen Ehefrau Lotte Lindenthal (der Inbegriff der resoluten deutschen Frau: Petra Morzé), schleichen sich immer wieder Zweifel in seine Gesichtszüge. Wird sein Plan, das “System” von innen zu unterwandern, aufgehen? Spätestens, als es dem von ihm versteckten Juden sowie seinem Geliebten Julien an den Kragen gehen soll, zweifelt er an seinem Einfluss.

Ofczarek gewinnt mit seiner Figur die Sympathien des Publikums

Hin- und hergerissen zwischen Scheuklappendenken, Machtstreben und Selbstzweifeln bäumt sich Ofczarek zu einer tragischen Figur auf, die die Sympathien des Publikums gewinnt. Wie hätte man selbst reagiert? Hat er nicht alles versucht? Oder ist er doch jenes skrupellose Arschloch, als das man ihn auch sehen kann? Wie sehr sich Höfgen in die Hände der nationalsozialistischen Machthaber begeben hat, wird etwa in einer Szene deutlich, in der der Ministerpräsident ihm jenes Geschirr anlegt, an dem er für den restlichen Abend mittels Seil in die Höhe gezogen wird: Doch Ofczarek schwebt nicht, er taumelt.

Bastian Kraft hat es nicht zuletzt durch die zweite Ebene der Nacherzählung geschafft, Fragen aufzuwerfen anstatt sie zu beantworten. Immer öfter entgleiten die Figuren dem Autor, der machtlos danebensteht und durch Gesten versucht, seine Charaktere davon abzuhalten, bestimmte Dinge zu sagen oder zu tun. Schließlich ist er der einzige, der den Ausgang der Geschichte kennt.

“Mephisto” zeigt parallelen zur heutigen Gesellschaft

Das zwölfköpfige Ensemble, erweitert durch Judith Schwarz als Live-Schlagzeugerin, stemmt diesen komplizierten, oft die Langsamkeit und das Schweigen auskostenden Abend mit Bravour. Keine der doch sehr klar definierten Rollen wird zur Karikatur: Peter Knaack überzeugt als hoffnungslos aufrichtiger Kommunist Otto Ulrichs, Martin Vischer gibt den zunächst strammen, dann enttäuschten Nazi Hans Miklas. Sylvie Roher begeistert als singende Dora Martin, die mal aus dem Schnürboden schwebt, mal aus dem Publikum heraus auftritt. Einen besonderen Kniff hat sich Kraft für die Rolle von Höfgens dunkelhäutiger Geliebten ausgedacht: Sie ist hier keine von den Nazis verfolgte Schwarze, sondern ein ebenfalls von den Nazis verfolgter Stricher, was die Homosexualität Höfgens, die Mann in seinem Roman vermeiden wollte, zu einem wichtigen Puzzleteil der Geschichte macht. Hier überzeugt Simon Jensen als gewiefter, aber seinem Geliebten schließlich doch höriger Jüngling. Lang anhaltender Applaus für die starken Ensembleleistungen und die mutige Regie beendeten einen Abend, der es unaufdringlich vermag, Parallelen zur heutigen Gesellschaft anklingen zu lassen, ohne sie zwanghaft in den Vordergrund zu stellen.

(APA/Red.)

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